Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
Vom Netzwerk:
damit aufhören?« schrie sie. Er steckte den Kopf heraus und sah verdattert aus. Celia schluckte. »Tut mir leid. Es gefällt mir hier einfach nicht.«
    »Okay, okay. Ich räum’ schon das Feld.« Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen, als er ging. Sie hörte, wie seine Schuhe die Hintertreppe hinunterpolterten.
    Ich rühre keinen Tropfen Alkohol an und trotzdem benehme ich mich schon wie sie, dachte sie. Verdammte Mutter. Verdammte Celia.
    Sie gab sich selbst das Versprechen, nach Hause zu fahren, sobald sie ihr eigenes Zimmer abgesucht hatte.
    All ihre Bücher waren schon lange verschwunden. Der Wandschrank steckte voller alter Kleider, an denen ihr nichts lag. Sie würde dem Anwalt ihres Vaters sagen, er solle sie der Altkleidersammlung übergeben. Sie zog alle Schubladen des Frisiertisches heraus. Da lag ein dünner goldener Armreif, den sie wohl mitnehmen sollte. Sie steckte ihn in eine Gesäßtasche und fragte sich, warum sie überhaupt Kartons mitgebracht hatten. Der Raum wirkte fremdartig auf sie, die Vertrautheit alt und wie einem Traum entstiegen. Sie setzte sich auf das Bett und versank in seiner weichen, durchgelegenen Matratze. Eindeutig ihr Bett. Sie legte sich hin und fuhr mit dem Finger einen vertrauten Riß in der Wand nach. Er hatte die Form eines Cowboys. Eine Teilung im Riß ergab den Hut und eine Welle ganz unten diente ihm als ein zu seinen Füßen aufgerolltes Lasso. Sie hatte so oft auf dem Bett gelegen und geträumt, ein Cowboy werde sie auf sein Pferd ziehen und mit ihr wegreiten zu einem Ort, der ganz aus rostrotem Horizont bestand, fern, seltsam, sehr weit weg. Sie hatte oft auf diesem Bett gelegen und zugehört, wie ihre Mutter ihren Vater angeschrien hatte, und er doch niemals seine Stimme gegen sie erhob. Sie hatte oft auf diesem Bett gelegen und sich gefragt, was sie heute wieder angestellt hatte und wofür sie als nächstes bestraft werden würde.
    Abend für Abend, jeden Abend das gleiche.
    Und tagträumen – oh ja, als sie zwölf oder dreizehn war und schon in der High School und die Eltern ihrer Freundinnen sich, wie es schien, alle scheiden ließen, hatte sie sich so einiges vorgestellt. Eines Tages käme sie heim und ihr schweigsamer Buchhalter-Vater würde sie im Auto vor dem Haus erwarten, ihre kleinen Schwestern vor Aufregung auf dem Rücksitz herumrutschend. »Wir fahren jetzt fort«, hatte ihr Vater in diesem Tagtraum gesagt. »Deine Mutter bekommt das Haus und du bleibst bei mir.« Sie stieg dann ein und setzte sich neben ihren Vater. Er fuhr los und fragte: »Wo möchtest du hin, Celia? Wir fahren hin, wo du willst.« Und die Zwillinge riefen: »Disneyland! Frankreich! China!« und Celia sah ihren Vater an und grinste und sagte: »Nach Westen. Fahr nach Westen.« Und dann fuhren sie einem rostroten Sonnenuntergang entgegen zum Land der Cowboyhüte und weiten Ebenen und ließen das Haus an der Hawthorne Straße weit, weit hinter sich.
    Sie wünschte sich das so fest, daß sie wußte, es würde eines Tages geschehen. Familien trennten sich ständig überall, und die Kinder mußten ja nicht unbedingt bei ihren Müttern bleiben. Vielleicht würde ihr Vater aber auch heimlich kommen und mitten in der Nacht an ihre Tür klopfen, so daß ihre Mutter von nichts wußte, und zusammen würden sie die Zwillinge aus dem Bett holen und ein paar Garnituren Wäsche und dann fortfahren. Vielleicht sogar schon heute nacht.
    Es geschah nicht in dieser Nacht. Ihr Vater war ein Niemand. Ein Feigling. Ihr Vater war noch schlimmer als ihre Mutter, denn er hatte noch nicht einmal die Flasche als Entschuldigungsgrund, denn er sah täglich, was in seinem Haus geschah, und doch tat er nichts, um es zu ändern.
    Sie öffnete die Augen, griff blind nach irgend etwas auf dem Nachttisch – einem Wecker – und schmetterte ihn gegen den Cowboyriß in der Wand. Er zerstörte den Cowboy bis zur Unkenntlichkeit. »Sei verflucht!« flüsterte sie rauh. »Sei verdammt, alter Mann! Du hast nie auch nur das geringste für uns übrig gehabt. Ich hasse dich!« Und der schuldige Teil tief in ihr drinnen sagte ihr mit der Stimme ihrer Mutter, daß sie es eben nie verdient hatte. Sie hatte keinen Vater verdient, der sie wegbrachte, und nun verdiente sie überhaupt keinen lebendigen Vater mehr.
    Schau nur, was du mit der Wand angestellt hast. Der Wecker lag neben den langen Bruchstücken seines zerbrochenen Plastik-Zifferblatts. Es spielte wohl keine Rolle, wie schlimm die Dinge so schon lagen – sie konnte

Weitere Kostenlose Bücher