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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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vielleicht war das nur eine Täuschung, die sich seiner ärmlichen Gestalt, dem abgetragenen, knielangen Plastikmantel mit den ausgebeulten Taschen, den wütenden roten Augen, den Haaren im Gesicht und seinem seltsamen Warensortiment verdankte. Er stand an einer sorgfältig ausgewählten Ecke und bot mit weinerlicher Stimme seine Artikel feil.
    Eine Unmenge an Leuten, um sicherzugehen. Sie kamen vor der Global Village, einem Multi-Media-Palast, den Boulevard herunter. Aber nur wenige wagten sich in seine Nähe. Sie zogen es vor, direkt in das gelbe und zinnoberrote Flackern des Stroboskops und die heißen hellgrünen Lichter einzutauchen, die eine blendende Außenwand für das Theater schufen.
    Während er weiter seine Waren anbot, wurde der Schnee harscher. Er gefror zu eisigen Klümpchen, die in seine entblößte Haut stachen. Etwas von der Tinte auf den schmierigen, cremefarbenen Seiten in seiner Hand begann zu verlaufen. Er fluchte leise.
    Bald blies der Wind von der Seite, trieb den Schnee kräftiger vor sich her. Auf den Straßen schmolz er augenblicklich. Schimmernde Pfützen reflektierten die roten und grünen Lichtblasen, die dank der Chamb Com über den Boulevards durch die Luft schwebten. Jede flimmernde Blase enthielt ein Dimensionalpiktogramm einer nonkonfessionellen Ferienlandschaft, das sich langsam drehte.
    Aus den gelben und grünen Stroboskopen tönte eine Stimme. »Letzte Vorstellung! Letzte Vorstellung in zwanzig Minuten! Bitte in zwei Reihen aufstellen …« Jene aus der vorigen Vorführung drängten heraus. Jene, die warteten, drückten sich in zwei Reihen hinein. Von beiden Gruppen wagte sich niemand in seine Nähe.
    Ein Luftbus aus der Nachtschicht einer lokalen Grundschule kreuzte seinen Weg. Drinnen lärmten Kinder, zeigten auf ihn. Er knurrte trotzig, als der Lehrer der Hartnäckigkeit der Kinder nachgab und den Bus anhielt. Einige stiegen aus, trugen verschiedenartige Gerätschaften, darunter Videohandkameras und vielarmige Sync-Leuchten, die ihn in ein erbarmungsloses Weiß tauchten. Als er wieder knurrte, wurde er aus allen Winkeln aufgenommen.
    Dann setzten die Zweitkläßler Kappen auf die Linsen, schalteten die Lampen aus und stiegen in ihren Bus zurück. »Schöne Ferien!« rief jemand, als der Bus wieder anrollte.
    Er wartete, bis die letzte Vorführung zu Ende ging, und warb mit immer asthmatischerer Stimme. Dann, nachdem die Menge sich verlaufen hatte und die Stroboskope erloschen waren, gestand er sich zu, daß er an diesem Abend nichts verkaufen würde. Er wandte sich ab und schlurfte davon, wütete in einem Schwall von Gossensprache gegen den Abend, den Schnee und die öffentliche Gleichgültigkeit.
    Als er sich der schäbigen Notunterkunft der Fürsorge näherte, begann er in einer Art wortlosen Gejammers über den Preis, den er verzweifelt durch Verkäufe aufzubringen versucht hatte, zu hinken. Er hatte die Presse gekauft – mal überlegen, vor zehn Jahren? Acht? –, indem er sein Taschengeld sparte, statt es für Essen auszugeben, wie er es sollte. Jetzt ging das wertvolle wöchentliche Taschengeld allerdings für die verschiedenen, mit Vitaminen angereicherten Nahrungsmittel drauf, die er brauchte, um seine im Nachlassen begriffenen Kräfte aufrecht zu erhalten.
    Also gab es nur eine Möglichkeit, wie er eine echte Pan-Manual-Electro-Selectype kaufen konnte.
    Ja, eine blieb ihm noch. Er hatte das durch eine verbale Botschaft von einem Tröster erfahren, den man für einen halben Liter Whisky beauftragt hatte, auf Befehl eines der wenigen verbliebenen Mitglieder der Brüderschaft den ganzen Weg vom Pittsadelphia-Mega zu Fuß zu gehen.
    Sein Freund in Pittsadelphia hungerte ebenso wie er. Sein Freund konnte es sich unmöglich leisten, die Antiquität zu erwerben. Aber wenn er interessiert wäre …
    Es wäre für seinen Freund einfacher und schneller gewesen, eine konventionelle Botschaft zu senden. Aber sechzig Sekunden übers US-Telepost-Nachrichtenbüro waren ebenfalls viel zu teuer. Deshalb hatte sein Freund sich um den Betrag ärmer gemacht, den ein halber Liter für den Gammler von einem Boten kostete. Mitglieder der Brüderschaft taten solche Dinge, die wenigen zumindest, die es noch gab …
    Der heruntergekommene Mann dachte jetzt daran, daß er, sollte er an diesen vorweihnachtlichen Abenden, wenn die Leute – angeblich! – am großzügigsten waren, nicht ein paar Credits auftun können, nicht damit anfangen konnte, die Schreibmaschine zu bezahlen. Vielleicht

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