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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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noch ein paar davon …!«
    »Nicht vor den Fernsehern meiner Vertreter«, sagte Frax lachend. Er drückte gegen Joyces Arm.
    »Aber, aber …«
    »Wachen Sie auf, Mann! Wir befinden uns in der Post-Gutenberg-Ära. Sie müssen mich entschuldigen.«
    Er stieß härter gegen Joyces Arm. Die Kanten des Pappkartons platzten, und zerknitterte gelbe Seiten flatterten auf den dicken Teppich. Joyce kreischte, der Schrei eines Tieres, das man grausam und stumpfsinnig mißhandelt hatte. Plötzlich zog er einen Taschenlaser hervor.
    »Das haben Sie verdient, Sie und all die anderen Elektronikschakale, die genauso sind!«
    Seine Augen leuchteten wie die eines Racheengels, als er Bennet Frax den Strahl durch den Kopf schoß und zugleich die kreisenden Büsten zerstörte. Dann drehte er sich um und tötete die unmoralische, ungebildete Sek. Dann lief er zum Lift und fuhr bis ganz nach unten. Als er durchs Foyer hetzte, hörte er ein anhaltendes Raunen.
    Er eilte auf die Straße. Mitten im Dezember stand sie plötzlich ganz im Gold eines Wärmeeinbruchs. Menschenmengen versperrten ihm den Weg. Sie gaben das Raunen von sich, aus dem bei seinem Anblick wilder Beifall wurde.
    Er zeigte ihnen den Laser. »Ich habe Frax umgebracht!«
    Sie applaudierten noch lauter.
    Schöne junge Mädchen stürmten zu ihm herauf, rissen sich die Kleidung vom Leib und keuchten romantische Versprechen. Der Donner des Beifalls hallte zwischen den Türmen hin und her, während Beamte in Polizeiblasen, die auf Höhe der zweiten und dritten Etage schwebten, in stumpfsinniger, gefühlloser Verwunderung zusahen. Irgend jemand in der Menge rief:
    »Daedalus wird wieder fliegen! Daedalus wird fliegen, er wird fliegen!«
    Bald griffen andere die Zeile auf und brüllten sie hinaus. Er wurde angefaßt, traktiert, gestoßen, getätschelt, auf Schultern gehoben, die ihn durch den begeisterten Mob zu tragen versuchten, es aber nicht schafften. »Daedalus wird fliegen, wird wieder fliegen!«
    So weit er in dem goldenen, späten Nachmittag sehen konnte, hoben Menschen ihre verzückten Gesichter, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Er schwankte auf den Schultern derer, die ihn verehrten, hier- und dorthin und versuchte die Menge abzuschätzen. Fünfzigtausend? Nein, mindestens fünfundsiebzigtausend. Der Donner hielt an, und er wurde wie ein Gott durch die Hosiannas getragen.
    Die Dämmerung war eingebrochen. Er war erschöpft. Er hatte heute länger und härter gearbeitet als in vielen Monaten zuvor. Aber jetzt würde er Erfolg haben, jetzt endlich. Eine leichte Veränderung, ganz geringfügig …
    Er hielt das beschädigte Tintenfaß für seine Feder über der linierten gelben Seite. Das Blatt war spröde vom Alter. Er hatte es mit anderen seiner Sorte aus einer Abfalltonne gerettet, wo man sie lang vorher hineingeworfen hatte. Er änderte ein paar letzte Worte, so daß dort jetzt stand: … und versuchte die Menge abzuschätzen. Hunderttausend? Nein, mindestens zweihunderttausend. Dann schlurfte er, vor Schmerzen verkrampft, weil er den ganzen Tag gearbeitet hatte, in die noch dunklere Ecke seiner schäbigen Kammer in der Notunterkunft der Fürsorge. Seine Pantoffeln pflügten durch wirre Stapel von Papierkartons, fast dreißig Jahre alt. Ein Deckel fing einen Streif der düsteren Abendsonne ein und ein paar Buchstaben wurden beleuchtet: JOYCE/2.05 Cred. Er bemerkte es kaum, sondern ging zielstrebig auf die kleine, wacklige Handpresse zu.
    In einer Stunde hatte er die Typen aus dem staubigen Sortiment gesetzt. Er färbte sie ein. Eine weitere Stunde später war er wieder mit einem Viertel Ries schmieriger, cremefarbener Blätter auf der Straße. Eine Seite von jeder trug die gedruckte Version dessen, was er geschrieben hatte. Ein Meisterwerk ohne Zweifel. Vollgepackt mit Wahrheit.
    Es schneite wieder einmal sehr heftig. Er nahm seinen Posten an derselben Ecke ein und begann auszurufen.
    »Authentisches Material! Authentische Antiquitäten aus der Hand des Autors! Gebrauchte Filzschreiber! Radiergummis! Farbbänder!« Die Sachen beulten seine Taschen aus. Er schwenkte die cremefarbenen Blätter. »Und Literatur, authentische Literatur! Geschrieben von einem authentischen Gutenberg-Autor! Gesetzt mit authentischen beweglichen Typen! Eine ideale Weihnachtsüberraschung für Leute, die schon alles haben!«
    Die dekorativen Kugeln schwebten langsam vorbei. Die Menschen drängten in und aus dem Multimedia-Palast. Beamte aus einer Polizeiblase kamen herunter, um seine

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