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Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretzky
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bin.“ Ich
berichtete ihm kurz von unserem Gespräch. „Aber vielleicht hält sich mein
anonymer Anrufer ein bißchen zurück, wenn er sieht, daß eine Million Leute die
Augen offenhalten... Ich habe allerdings noch was auf dem Herzen. Kann ich bei
dir übernachten? Es ist mir ganz schön peinlich, dich darum zu bitten. Aber mir
graut davor, heute nacht allein zu sein.“
    Murray sah mich einen Augenblick an, dann lachte er.
„Weißt du, dich so jammern zu hören entschädigt mich für den Krach, den ich mit
meiner Freundin kriege, wenn ich sie wegen dir versetze. Du bist sonst immer
ein so verdammt zäher Brocken.“
    „Freut mich, daß du auf deine Kosten kommst.“ Als er
zum Telefon ging, bekam ich Gewissensbisse. War ich nur vorsichtig - oder ein
Angsthase?
    Wir aßen im Officers' Mess, einem romantischen
indischen Lokal in der Halsted Street, und gingen danach zum Tanzen. Nachts um
eins, als wir ins Bett fielen, erzählte mir Murray, daß er ein paar
Zeitungsleute beauftragt habe, Material über Säureattentäter zusammenzutragen.
    Am Samstag früh verließ ich seine Wohnung, während
er noch schlief; ich mußte mich für Agnes' Beerdigungumziehen. Bei mir zu Hause
war nichts Verdächtiges zu bemerken, und ich glaubte fast, ich hätte mich zu
sehr von meiner Angst leiten lassen.
    Im marineblauen Kostüm mit hellgrauer Bluse und
marineblauen Pumps machte ich mich auf, um Lotty und Phyllis abzuholen. Wir
hatten mehr als zehn Grad minus; der Himmel war schon wieder bedeckt. Zitternd
vor Kälte erreichte ich meinen Wagen. Mein schöner Mohairschal! Ich brauchte
dringend Ersatz.
    Lotty wartete in einem damenhaften schwarzen
Wollkostüm unter der Haustür. In dieser Aufmachung glaubt man ihr die Ärztin.
Bis zur Chestnut Street sprach sie nicht viel. Vor dem Apartment stieg sie aus,
um Phyllis zu holen. Phyllis schien in den letzten zwei Tagen weder gegessen
noch geschlafen zu haben, denn sie war totenblaß und hatte dunkle Schatten
unter den Augen. Sie trug ein weißes Wollkostüm und einen blaßgelben Pullover
- die Trauerfarben des Orients, wie ich mich dunkel entsann. Vermutlich wollte
sie um ihre tote Geliebte in einer Weise trauern, die nicht jeder verstand.
    Die Kirche zu Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz war
ein imposanter Kalksteinbau auf einer Anhöhe über der Sheridan Road. Ich
stellte den Wagen in einer winzigen Parklücke unten auf dem Parkplatz ab, und
wir stiegen die steile Treppe zum Hauptportal hinauf.
    Agnes' Bruder Phil half beim Anweisen der Plätze.
Als er mich sah, klärte sich seine Miene auf. „V. LI Schön, daß du's noch
geschafft hast. Mutter sagte, du kämst nicht.“
    Ich stellte ihm Lotty und Phyllis vor, und er führte
uns nach vorn zu unseren Plätzen, ganz in der Nähe von Agnes' Sarg, der auf
einem Podest vor den Altarstufen stand. Zu meiner Überraschung kniete Phyllis,
wie viele andere Trauergäste, vor dem Sarg nieder und verharrte dort längere
Zeit. Erst als die Orgel einsetzte, bekreuzigte sie sich und erhob sich. Mir
war nie bewußt geworden, daß sie ja ebenfalls katholisch war.
    Mrs. Paciorek - ganz in
Schwarz, das Haar mit einem langen Spitzenschal bedeckt - wurde von einem
rotgesichtigen, weißhaarigen Mann zu ihrem Platz geleitet. Sie sah genauso
aus, wie ich sie in Erinnerung hatte: attraktiv und böse. Der Blick, mit dem
sie den Sarg streifte, schien auszudrücken: „Ich hab' dir's ja immer gesagt!“
    Ich blickte auf, als mir jemand auf die Schulter
tippte. Es war Ferrant, sehr elegant im Cut. Hatte er ihn eingepackt, um in
Chicago für alle Fälle ausgerüstet zu sein - auch für ein Begräbnis? Ich
rückte ein wenig zur Seite, damit er sich neben mich setzen konnte.
    Ungefähr fünf Minuten lang wurde auf der Orgel Faure
gespielt, dann zog die Geistlichkeit ein - wahrhaftig ein eindrucksvolles
Schauspiel: voran zwei Ministranten, einer mit dem Weihrauchkessel, der andere
mit dem Kruzifix, gefolgt von jungen Priestern, dann eine prachtvolle Gestalt,
den Bischofsstab in der Hand und die Mitra auf dem Haupt - der Kardinal und
Erzbischof von Chicago, Jerome Farber, hinter ihm der Priester, der die Messe
lesen würde, ebenfalls mit der Mitra, also auch ein Bischof. Ihn kannte ich
nicht. Was nicht heißen soll, daß ich viele Bischöfe vom Sehen kenne. Farbers
Bild ist nur regelmäßig in der Zeitung.
    Erst nach Beginn der Messe wurde mir bewußt, daß
Augustin Pelly, der Finanzbevollmächtigte der Dominikaner, unter den jungen
Priestern gewesen war. Eigenartig.

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