Fromme Wünsche
meinen Kumpel bei der Polizei
weitergegeben. Der tippt auf Walter Novick. Arbeitet als Schauermann und
benutzt im allgemeinen ein Messer. Vielleicht hat er sich deshalb mit der Säure
so dämlich angestellt.“
Als ich schwieg, setzte Murray reumütig hinzu:
„Entschuldige. Ich glaube, das war nicht besonders witzig. Auf jeden Fall
gehört er zu keinem Syndikat, hat jedoch schon öfter für Annunzio Pasquale
gearbeitet.“
Ganz plötzlich spürte ich Angst - eine Seltenheit
bei mir. Annunzio Pasquale, ein Chicagoer Mafiaboß, dem jedes Mittel recht war:
Mord, Folter. Weshalb war so ein Mann an mir interessiert?
„Bist du noch da, Vic?“
„Ja. Zumindest für die nächsten paar Stunden. Leg
mir Iris auf den Sarg. Lilien habe ich nie besonders gemocht.“
„Klar, Schätzchen. Paß schön auf, wem du die Tür
öffnest, und schau brav nach links und rechts, bevor du die Straße überquerst...
Vielleicht mach' ich 'ne kleine Geschichte draus, dann sind die Straßen für
dich weniger gefährlich.“
„Danke, Murray“, sagte ich geistesabwesend. Dann
legte ich auf. Pasquale also. Es mußte mit den Fälschungen zusammenhängen.
Kein Zweifel. Wenn du Falschgeld drucken und in Umlauf bringen willst, wendest
du dich an die Mafia. Bei Wertpapieren war das wohl nicht viel anders.
Ich lasse mich nicht leicht ins Bockshorn jagen.
Aber ich sehe mich auch nicht als Racheengel. Bei organisiertem Verbrechen muß
ich passen. Wenn Pasquale bei den Fälschungen wirklich seine Hand im Spiel
hatte, dann ging die Runde kampflos an ihn - bis auf eins: Mein Leben war in
Gefahr gewesen. Und mein Augenlicht, meine Gesundheit. Falls ich jetzt klein
beigab, würde ich mir das nie verzeihen.
Ich blickte stirnrunzelnd auf einen Stapel Zeitungen
auf dem Beistelltisch. Es gab eine Möglichkeit: Ich mußte mit Pasquale reden,
ihm erklären, wo sich unsere Interessen kreuzten. Mußte ihm plausibel machen,
daß die gefälschten Papiere ein heißes Eisen für ihn waren. Ich würde ihm
entgegenkommen, wenn er sich entschloß, Novick nicht mehr zu decken.
Aber wie sollte ich mit ihm in Kontakt kommen? Eine
Anzeige im Herald-Star vielleicht - aber damit konnte ich in die schlimmsten
Kalamitäten geraten. Hatfield wartete nur darauf, mir wegen Strafvereitelung
etwas anzuhängen.
Ich griff zum Telefon und rief eine Frau an, die bei
der Bezirksstaatsanwaltschaft arbeitete. „Maggie, hier ist V. I. Warshawski.
Ich brauche deine Hilfe.“
„Hat's nicht Zeit? Ich bin nämlich auf dem Weg zum
Gericht.“
„Ich will dich nicht aufhalten. Ich möchte nur ein
paar Deckadressen von Don Pasquale haben. Lokale, Wäschereien und dergleichen,
wo ich unauffällig an ihn herankommen kann.“
Maggie schwieg sehr lange. „Dir geht's doch
hoffentlich nicht so schlecht, daß du dich mit ihm einlassen mußt?“
„Ganz und gar nicht, Maggie. Das Risiko, daß du mich
dann vor Gericht verhören müßtest, wäre mir einfach zu groß.“
Nach einer weiteren Pause sagte sie: „Wahrscheinlich
ist es besser für mich, wenn ich den Grund nicht weiß. Ich lasse heute
nachmittag von mir hören, so gegen drei.“
Ruhelos lief ich durch die Wohnung. Pasquale hatte
mich ganz sicher nicht angerufen. Ich hatte ihn ein- oder zweimal im
FBI-Gebäude gesehen. Er sprach mit einem starken italienischen Akzent.
Außerdem: Auch wenn die Fälschungen auf sein Konto gingen, konnte er sie
unmöglich in den Klostersafe gelegt haben. Vielleicht wohnte er in Melrose Park
und ging zum Gottesdienst in die Klosterkirche. Aber er hätte Mitwisser
gebraucht, um an den Safe heranzukommen. Boniface Carroll oder Augustin Pelly
als Strohmann der Mafia? Absurd.
Natürlich - da war noch Rosa. Aber Rosa als
Gangsterliebchen? Ich bekam einen Lachanfall. Mit Annunzio würde sie
allerdings fertig werden: Pasta für heute gestrichen, Annunzio! Außer, du gehst
auf meine Nichte mit Säure los.
Plötzlich fiel mir Albert ein. An ihn hatte ich
bisher überhaupt nicht gedacht, weil er neben Rosa völlig verblaßte. Aber
schließlich konnte die Mafia einen Wirtschaftsprüfer immer gut brauchen, einen
wie Albert - fett, vierzig, unverheiratet und beherrscht von diesem
Muttermonster. Vielleicht hatte das asoziale Neigungen in ihm erweckt. Hatte
Rosa mich womöglich hinter seinem Rücken angerufen? Hatte er sie anschließend
überredet, mir den Stuhl vor die Tür zu setzen? Aus irgendwelchen abwegigen
Gründen konnte er die Aktien gestohlen und durch Fälschungen ersetzt haben. Als
die Ermittlungen
Weitere Kostenlose Bücher