Fronttheater
»Nee, mein Lieber. Den Gefallen tun wir dir nicht. Weder dir noch dem dicken Planitz.«
Fritz Garten trat an den Lastwagen und starrte auf das stille Gesicht Karl Pykoras. »Ich habe ihn auf dem Gewissen«, sagte er leise. »Ich bin schuld an seinem Tod.«
»Ach nee!« Meyer sah ihn wütend an. »Wer hat uns denn eigentlich in die Wüste geschickt? Du etwa?« Er trommelte nervös auf die Balustrade, auf der Karl Pykora aufgebahrt war. »Aber das soll das letzte Mal gewesen sein, Fritz das schwöre ich dir. Diese Sauerei bricht Planitz das Genick. Dafür will ich sorgen …«
»Was willst du schon gegen Planitz unternehmen?« fragte Fritz Garten resigniert.
Walter Meyer blickte den vier Landsern nach, die den leblosen Körper Karl Pykoras forttrugen. »Wozu habe ich einen ausgewachsenen Kreisleiter zum Onkel?«
Zwei Tage später bekam die Theatertruppe die Marschpapiere für ihre Heimreise nach Deutschland. Weitere sieben Tage später traf sie in Berlin ein.
Sofort suchte Walter Meyer seinen Onkel in dessen Büro auf. Aber der Onkel teilte Walter Meyers Empörung über den gefälschten Einsatzbefehl nicht.
»Der Krieg ist eine heilige Aufgabe der Nation«, deklamierte er. »Das da, was dir auf der Seele liegt, ist kleiner, persönlicher Neid.«
»Hör mal, Onkel – ich will dir einmal eine Geschichte erzählen. Die Geschichte von Miriam, Fritz und einem Schwein, das Kurt Planitz heißt. Sie beginnt mit einer großen Liebe und endet mit Mord.«
Walter Meyer erzählte. Der Kreisleiter hörte interessiert zu. Er unterbrach seinen Neffen nicht, nur sein Kopf wurde zusehends röter, und die Adern an den Schläfen traten hervor.
Als Walter Meyer, fast heiser vor Erregung, zu Ende war, sah der Kreisleiter starr auf seine Hände.
»Und das ist alles wahr, Walter? Du bist bereit, das überall unter Eid zu erzählen?«
»Mit Vergnügen.«
»Also gut. Ich werde morgen dem Gauleiter davon berichten. Und dem Reichssicherheitshauptamt der SS.«
Meyer verzog das Gesicht. »Geht's nicht ohne die Schwarzen?«
»Wenn jemand diesen Planitz kirre kriegt, sind die's!«
»Dann ran, Onkel! Wenn ich keinem die Hölle gönne – für diesen Planitz ist sie eigentlich noch zu gemütlich!«
Im Reichssicherheitshauptamt war man nicht sehr verwundert, als von der Gauleitung der Bericht über Planitz eintraf. Es lag bereits eine Akte Planitz vor.
»Wir werden das nachprüfen«, sagte ein SS-Sturmführer.
Dann wurde Planitz drei Tage lang überwacht und schließlich zu einer ›dringenden Besprechung‹ in die Prinz-Albrecht-Straße bestellt.
Mit zusammengezogenen Brauen stierte Planitz auf das Papier. »Was haben die denn mit dem Fronttheater zu tun?« murmelte er verstört.
Trudchen, seine Sekretärin, meinte, die Frage sei an sie gerichtet.
»Vielleicht wollen sie dich zum Ehrenmitglied der SS machen«, sagte sie.
»Quatsch.« Planitz versuchte scharf nachzudenken. Aber ihm fiel nicht ein, was man im RSHA von ihm wollen könnte …
Irene Berthold war auf ein paar Tage zu ihrer Mutter nach Lübeck gefahren.
Lore Sommerfeld öffnete die Tür.
Einen Augenblick standen sie beide sprachlos, wie versteinert. Dann fielen sie sich um den Hals.
»Irene«, stammelte Lore. »Warum hast du nicht geschrieben, daß du kommst? Ich meine …«
Irenes Mutter unterbrach Lore. Sie drückte ihre Tochter immer wieder an sich.
»Seid ihr alle wieder da?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, fragte sie weiter. »Bleibt ihr jetzt hier? Wie geht's den anderen? Dem Fritz, dem Walter, der tollen Sonja?«
»Nun laßt mir doch ein bißchen Luft«, lachte Irene und löste sich aus der heftigen Umarmung. Sie ließ sich ins Zimmer ziehen.
In der Ecke am Ofen stand ein schmales Kinderbettchen. Ein pausbäckiger kleiner Kerl lag darin und lutschte am Daumen. Er sah mit Kulleraugen auf die großen Menschen und schmatzte.
»Das ist Juppi«, sagte Lore leise und setzte sich neben das Bettchen. Irenes Mutter räumte Geschirr aus dem Schrank. Sie hatte Wasser für den Kaffee aufgesetzt.
»Der SD ist hinter Lore her«, sagte sie wie nebenbei.
Irene kannte ihre Mutter genau. Wichtige Dinge pflegte sie immer so nebenbei zu sagen.
»Der SD? Aber warum denn?«
»Sie hat an Erika einen Brief geschrieben. Von den Luftangriffen, von den Toten hier, von den fünfzig Gramm Margarine …«
»Aber das stimmt doch!«
»Sie nennen es Wehrkraftzersetzung. An die Front darf nur Schönes geschrieben werden. Uns geht es gut, wir sind glücklich, und wenn ihr
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