Froschkuss (German Edition)
Eltern wohnten, wäre mir doch zu teuer gewesen. Die Busfahrt durch Kiel, über die Holtenauer Hochbrücke und dann über die Fördestraße nach Schilksee kam mir unendlich lang vor. Das Haus meiner Eltern befand sich im Robbenweg und von der Bushaltestelle aus musste ich noch ein Stück laufen. Ich war schon einige Wochen nicht mehr zu Hause gewesen stellte ich fest, obwohl es von meiner Wohnung in der Wik aus nun wirklich nicht weit nach Schilksee war. Aber ich hatte halt immer viel um die Ohren und außerdem waren meine Eltern normalerweise ständig unterwegs. Entweder sie segelten oder waren mit Freunden und Bekannten auf Reisen. Das Haus meiner Eltern befand sich fast am Ende eine Sackgasse und war in den 60er Jahren gebaut worden. Es war rot verklinkert und hatte ein Satteldach mit dunkelblauen Dachziegeln, die wie frisch lackiert glänzten. Die Holzrahmen der Fenster hatte mein Vater sandfarben gestrichen, was dem Haus eine maritime Ausstrahlung verlieh. Ein kleiner Weg führte durch den Vorgarten, in dem Blumen in allen Farben ihre Köpfe in den Himmel reckten. Meine Mutter hatte einen grünen Daumen, ganz im Gegensatz zu mir (bei mir gingen sogar Kakteen ein!). Alles, was sie einpflanzte, wuchs und vermehrte sich, sodass der Garten das gesamte Jahr über farbenprächtig und grün aussah, selbst im Spätherbst, denn dann blühten immer noch die wunderschönen Dahlien meiner Mutter, die sie vor jedem Frost fein säuberlich ausbuddelte und in Holzkisten im Keller bis zum Frühjahr lagerte. Als ich endlich vor der Tür meines Elternhauses stand, war ich außer Atem und meine Schulter tat vom Tragen meiner Reisetasche scheußlich weh.
„Da bist du ja!“, begrüßte mich meine Mutter schniefend. Es empfingen mich eine wohlige Wärme und der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee. „Komm erst einmal rein, ich hab’ uns schnell noch einen Kuchen gebacken.“ Das war wieder einmal typisch meine Mutter, die jedes Problem gern mit einem Übermaß an Aktivität bewältigte. Entweder sie wienerte das Haus, werkelte im Garten oder kochte und backte, was das Zeug hielt. Ich hingegen igelte mich in solchen Situationen am liebsten ein, legte mich ins Bett und zog die Decke über den Kopf. Vom Flur, der mit dunkelbraunen Fliesen gekachelt war, gelangte man gleich in die Küche, die halb offen durch ein massives Holzregal vom Eingangsbereich getrennt war. Auf dem Esstisch standen eine Thermoskanne mit Kaffee, zwei Teller und Becher sowie eine Platte, auf der ein glasierter Apfelkuchen darauf wartete, verputzt zu werden. „Mach dich doch erst einmal frisch!“, forderte meine Mutter mich auf, „deine Reisetasche kannst du ruhig in dein Zimmer bringen.“ Sie holte eine Schüssel aus einem der oberen Wandschränke und schüttete Sahne hinein. „In fünf Minuten bin ich fertig.“
Mein Zimmer sah noch immer genau so aus wie an dem Tag, als ich ausgezogen war. Es war rechteckig und eher schmal und hatte ein großes Fenster, durch das am Tag Licht bis in jede Ecke drang. An der Fensterseite stand mein Schreibtisch und an der Wand gegenüber der Tür war mein Schlafsofa mit Kissen in verschiedenen Lilatönen. In dem großen IKEA-Schrank daneben bewahrte meine Mutter, seitdem ich weg war, ihre Bettwäsche, Tischdecken und die Weihnachts- und Osterdeko auf. Ich stellte meine Reisetasche ab und ließ mich auf das Sofa fallen. Meine Mutter kam mit einer Holzkiste zur Tür herein: „Guck mal Sonia“, sagte sie und stellte das Teil auf den Boden ab, „ich habe hier ein paar Sachen von dir reingetan, die ich beim Aufräumen des Dachbodens gefunden habe. Vielleicht willst du etwas davon mitnehmen?“
„Ja, danke“, erwiderte ich, „ich schau sie mir nachher an, okay?“
Nachdem ich kurz im Badezimmer gewesen war, ging ich in die Küche, in der meine Mutter schon am Tisch sitzend auf mich wartete. Sie sah blass, aber ansonsten attraktiv wie immer aus. Sie war 58 Jahre alt, wirkte aber höchstens wie Mitte vierzig. Sie hatte ein feines, ebenmäßiges Gesicht mit nur wenigen Lachfältchen um ihre grauen Augen herum und immer noch volles, schulterlanges Haar, das sie alle vier Wochen dunkelbraun tönen ließ. Sie war schlank, fast schon dünn, denn sie achtete penibel auf ihre Figur. Meine Mutter aß prinzipiell keine Süßigkeiten, Chips oder fetthaltige Speisen, sondern ausschließlich Müsli, Obst, Salat und hin und wieder Fisch, was meinem Vater überhaupt nicht gefiel, denn er liebte deftige Hausmannskost wie
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