Frost, Jeaniene
»Da ich kein Kind mehr bin, sehe ich einen kleinen
Spaziergang nicht als >Herumstrolchen< an. Und außerdem habe ich dich gesucht.«
Die
Anspannung in seinem Gesicht ließ ein wenig nach. »Ich wollte dich nicht so
anschnauzen. Ich habe mir bloß Sorgen gemacht, als niemand wusste, wo du warst.
Komm schon, du musst dich fertig machen. Die Zeit ist knapp.«
Er ergriff
ihren Arm und schob sie sanft Richtung Treppe. Denise erwiderte erst etwas,
als sie in ihrem Zimmer angekommen waren, obwohl bei dem Radau im Haus außer
Spade vermutlich ohnehin niemand hören konnte, was sie zu sagen hatte.
»Ich habe
es dir schon einmal gesagt: Du musst diese Party nicht geben. Wenn es zu spät
ist, sie abzusagen, dann verstehe ich das, aber ich brauche eigentlich nicht
mal nach unten zu kommen. Ihr könnt einfach ohne mich essen, trinken und Spaß
haben. Wir müssen uns keine Sorgen mehr darüber machen, wie wir an Nathanial
herankommen.«
Spade
verdrehte die Augen. Buchstäblich. »Wenn du glaubst, ich würde zulassen, dass
du mir zuliebe die Märtyrerin spielst, kennst du mich schlecht. Das müsstest
du inzwischen eigentlich wissen.«
»Oh, aber
du hältst mich für jemanden, der zulassen würde, dass du draufgehst oder
selbst einen Haufen Morde begehst?«, zischte sie. »Die Dinge haben sich
geändert. Anfangs wussten wir beide nicht, worin Nathanial verwickelt war.
Selbst als wir es dann herausgefunden hatten, waren mir die Konsequenzen nicht
ganz klar, jetzt aber schon, und ich habe gesagt, dass Schluss ist.«
Er starrte
sie an, als müsste er darüber nachdenken, ob es ihr tatsächlich ernst war mit
dem, was sie gerade gesagt hatte. Denise verzog keine Miene. Sie bot ihm das
nicht einfach an, um ihr Gewissen zu beruhigen. Sie würde nicht zulassen,
dass wegen ihr noch einmal ein Mann starb, der ihr etwas bedeutete.
»Du hast
recht, es ist zu spät, die Party noch abzusagen«, meinte er schließlich. »Und
es würde seltsam wirken, wenn ich meine Gäste nicht Seite an Seite mit meiner
Geliebten begrüßen würde. Schließlich habe ich sie ja extra eingeladen, damit
sie dich kennenlernen. Du kennst dich mit der vampirischen Etikette nicht aus,
aber etwas Derartiges würde als äußerst unhöflich aufgefasst werden. Könnte
sogar einige Probleme für mich nach sich ziehen.«
Denise
wurde das Gefühl nicht los, dass Spade ihr etwas vormachte, aber er verzog
keine Miene. Vielleicht würden sich Spades Gäste tatsächlich auf den Schlips getreten fühlen, wenn seine vermeintliche Freundin
nicht erschien.
Das
Wissen, dass sie Spade nach dem morgigen Tag nie wiedersehen würde, traf sie
wie ein Schlag in die Magengrube. Trotz bester Vorsätze war sie Spade mit Haut
und Haaren verfallen. Warum, o warum bloß war Spade der Einzige, der all jene
Gefühle in ihr auslöste, die sie glaubte, mit Randy zu Grabe getragen zu haben?
»Okay«,
antwortete sie schließlich. »Noch eine Abschiedsvorstellung, wenn's dir
hilft.«
Seine
Augen blitzten. »Das wird es, auf jeden Fall.«
Im
Schatten verborgen stand Spade in einem kleinen Alkoven im Erdgeschoss und sah
zu, wie Denise die Treppe herunterkam. Hinreißend, dachte er,
während er ihr fliederfarbenes Abendkleid auf sich wirken ließ. Es war
schulterfrei, mit engen, die Oberarme bedeckenden Ärmeln, einem tiefen Dekolleté,
figurbetonender Taille und einem weiten Rock, der sich bei jedem ihrer Schritte
bauschte. Gefertigt war es aus feinster italienischer Seide und entsprach der
Mode des späten achtzehnten Jahrhunderts, nur hatte es einen Reißverschluss
anstelle der vielen kleinen Knöpfchen, mit denen man es früher geschlossen
hätte. Mit ihrem Collier aus Brillanten und Amethysten, den passenden
amethystbesetzten Haarspangen und den bis zum Ellbogen reichenden, weißen
Handschuhen sah Denise aus wie eine Königin.
Als sie
die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte, trat Spade aus den Schatten,
ergriff ihre behandschuhte Hand und küsste sie. »Du bist unglaublich schön.«
Sie
errötete. »Danke.« Dann lachte sie. »Gerade komme ich mir vor wie in der
Treppenszene in Titanic mit Leonardo DiCaprio und Kate
Winslet, aber wenn man bedenkt, wie der Film ausgeht, ist das wohl kein gutes
Omen.«
Spade
richtete sich wieder auf, ohne dabei jedoch Denises Hand loszulassen. »Keine
Bange. Die einzigen Eisberge, die es hier gibt, schwimmen in Gläsern.«
Sie
musterte ihn, bewunderte offensichtlich seine ebenfalls ganz im Stil des
achtzehnten Jahrhunderts gehaltene Aufmachung,
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