Frost
und wollte etwas sagen, aber es kam nichts.
«Ich bin vorsichtig», sagte ich.
Sara nickte, und ich ging hinaus.
***
«Sie hat mit dir geredet, oder?», fragte Marcus.
Ich nickte.
«Und sie hat dir ganz schön zugesetzt. Das sehe ich.» Er lachte, legte sein Lesezeichen zwischen die offenen Seiten seines Buches und schloss es. «Lass dich von ihr nicht aus der Ruhe bringen. Sie ist eben so.»
«Wie ist sie denn?»
«Sie ist ein ziemlicher Drachen, oder hast du das noch nicht bemerkt?»
«Schwer zu übersehen.»
Marcus lächelte. «Sie ist zu jedem so. Frag unseren Postboten oder den Typen, der unsere Rohre repariert. Frag irgendwen, mit dem sie spricht. Die Frau ist ein Drachen, ganz einfach.»
«Ich werd’s mir merken.» Ich deutete auf Syl. «Wie geht’s ihm? Spricht er noch?»
«Keinen Pieps», sagte Marcus. «Ganz unter uns, ich glaube nicht, dass er die Nacht überlebt.»
«Wie schade.»
«Wirklich?» Marcus schüttelte den Kopf. «Sieh ihn dir doch an. Ich würde so nicht leben wollen, du etwa?»
Ich trat näher an Syl heran und sah die aufgequollene Haut und die schwarzen Blasen, die sein Gesicht bedeckten. Ich drehte mich um und sagte: «Nein, vermutlich nicht.»
Marcus und ich unterhielten uns noch eine Weile, dann zog er sich den Mantel über, klemmte sich sein Buch unter den Arm und sagte: «Ich werde mal zusehen, dass ich noch ein bisschen Schlaf kriege. Entschuldige nochmal wegen Caroline.»
Ich sagte, dass das schon okay sei.
«Sei froh, dass du bald von ihr wegfahren kannst», sagte er. «Denk dran, was ich für ein Leben habe.»
Wir lachten beide. Er winkte über seine Schulter hinwegund ging in Richtung Rezeption. Eine Sekunde später bimmelten die Glöckchen an der Eingangstür.
Ich war mit Syl allein.
***
Ich saß eine ganze Weile einfach nur so da und hörte dem Wind zu, wie er um das Gebäude heulte. Als das Feuer niedergebrannt war, stand ich auf, nahm ein neues Holzscheit vom Stapel und benutzte den Schürhaken, um den Funkenschutz zu öffnen. Ich legte das Scheit oben auf die glühende Asche, und ein paar Minuten später prasselte das Feuer wieder.
Ich schaute auf Syl hinunter und hörte seinen Atem langsam rasseln. Er bewegte sich nicht.
Ich musste daran denken, dass Marcus gesagt hatte, Syl würde die Nacht vermutlich nicht überleben. Wenn er recht hatte, musste Zack gar nichts tun. Wir könnten es aussitzen.
Das Problem war, dass Zack derselben Meinung sein musste.
Ich konnte mit ihm reden, aber ich glaubte nicht, dass er mir zuhören würde.
Und was, wenn Syl doch nicht starb? Er hatte schon die Schusswunde und den Schneesturm überlebt. Was, wenn er das hier auch noch überlebte?
Schließlich beschloss ich, dass es besser war, sicherzugehen und Zack die Sache regeln zu lassen. Es wäre besser für alle Beteiligten, auch für Syl. Ich musste mich da nur raushalten.
Ich ging an den Tisch und nahm Carolines Karten, mischte sie und legte mir eine Patience. Es lenkte mich für eine Weile ab, und das war gut so. Zack würde erst in ein paar Stundenkommen, so hatte ich Zeit nachzudenken. Mit etwas Glück würde Syl aufgeben und friedlich einschlafen.
Mit etwas Glück.
Ich legte eine schwarze Dame auf einen roten König, dann eine rote Acht zu einer schwarzen Neun. Am Ende verlor ich das Spiel. Ich versuchte es nochmal, aber ich verlor erneut.
Schließlich wurde ich müde und schob die Karten beiseite, lehnte mich im Stuhl zurück und schloss die Augen.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so dasaß, aber als ich die Augen wieder öffnete, war das Zimmer völlig dunkel. Nur die Kohlen glommen rot im Kamin.
Ich stand auf, nahm zwei Scheite vom Stapel und ließ sie auf die Kohlen fallen. Als ich mich wieder umdrehte und nach dem Schürhaken greifen wollte, sah ich, dass sich Syl aufgesetzt hatte.
Ich atmete scharf ein und sprang zurück. Einen Moment lang stand ich wie gelähmt und starrte ihn an, dann knackte das Holz im Kamin und fing Feuer. Ein tanzendes gelbes Licht erfüllte den Raum.
Syls Laken war von seiner Brust gerutscht und hing um seine Hüfte. Man konnte den Verband und ein paar Narben auf seinen Schultern und dem Brustkorb sehen. Einige waren dicker und länger als die anderen, aber jede einzelne sah schlimm aus, schmerzhaft schlimm.
Ich trat näher.
Syl hielt seine Hände vor sich und starrte auf seine schwarzen Finger. Er schien mich nicht zu bemerken.
Ich griff nach der Flasche Wasser auf dem Tisch, schraubte den Verschluss auf und hielt sie
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt