Frost
ihm hin.
Er schaute auf, sah mich, sah das Wasser.
Ich hielt es ihm an den Mund und half ihm zu trinken.
Er nahm zwei Schlucke und hustete, mühsam und tief.
Blut quoll ihm aus dem Mund. Es rann über sein Kinn und tropfte mir auf die Hand. Als er aufgehört hatte zu husten, hielt ich ihm erneut die Flasche hin, aber er schüttelte den Kopf.
Ich stellte sie zurück auf den Tisch.
Wieder starrte er lange seine Hände an. Schließlich schaute er zu mir hoch und fragte: «Wo ist sie?»
Seine Stimme klang dünn und brüchig.
Ich bemerkte, dass ich die Luft angehalten hatte.
Ich atmete schwer aus und sagte: «Wer?»
«Lilith», sagte er. «Wo ist sie?»
«Hier ist sie nicht», sagte ich. «Es ist alles okay.»
Syl schaute hinter mich auf die Tür.
«Sie ist hier, ich habe sie gesehen. Sie hat im Dunkeln gestanden.»
Er zitterte, und ich berührte seine Schulter. Ich hätte nicht gedacht, dass ihn das beruhigen würde, aber nach einer Weile spürte ich, dass sich seine Anspannung löste und er gleichmäßiger atmete.
«Wie geht es Ihnen?»
Syl ließ seinen Kopf sinken, und ein langer Speichelfaden fiel in seinen Schoß.
«Brauchen Sie irgendetwas?»
Syl hielt seine Hände hoch. «Was ist das?»
Im Schein des Feuers sah ich Syls Hände. Jeder einzelne Finger der rechten Hand war verdreht und am Mittelgelenk abgeknickt. Sie waren alle in unterschiedliche Richtungen verbogen.
Einen Moment lang verschlug es mir die Sprache.
Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob seine Finger schon gebrochen waren, als wir ihn hineingebracht hatten, aber ich wusste es nicht mehr genau.
Ich wusste noch, dass Megan ihm die Kleider ausgezogen und ihn in Laken eingewickelt hatte, aber auf seine Finger hatte ich nicht geachtet.
Megan hätte doch sicher etwas gesagt, wenn sie es bemerkt hätte. Sie hatte aber nichts gesagt.
Irgendjemand musste bei ihm gewesen sein.
Was bedeutete, dass jemand Bescheid wusste.
Ich lehnte mich zurück und bemühte mich, ruhig zu bleiben.
Das konnte doch nicht wahr sein. Ich war noch nicht bereit, es wirklich zu glauben, und tat mein Bestes, mich davon zu überzeugen, dass er sich die Finger schon auf dem Feld gebrochen hatte. Ich hatte das sicher nur übersehen. Es war die einzige Erklärung, die ich akzeptieren wollte, und es dauerte nicht lange, da glaubte ich sie sogar.
Syl wiederholte seine Frage.
Ich beugte mich vor und erklärte ihm, dass das vom Frost käme, aber ich merkte, dass er nicht zuhörte.
Er fragte erneut.
Er stand unter Schock.
Ich wiederholte meine Erklärung.
Lange graue Hautfetzen hingen wie Spinnweben von seinen Wangen. Ich versuchte, sie nicht anzusehen.
Ich erzählte ihm vom Schneesturm und vom Motel.
Syl sah die ganze Zeit auf seine Hände. Immer, wenn er einatmete, brummte es in seinem Brustkorb wie ein Schwarm Fliegen.
Wir schwiegen lange.
Syl wiegte sich sanft vor und zurück. Ich überlegte, ihn zu fragen, ob er noch etwas Wasser wollte.
Stattdessen fragte ich: «Können Sie mich hören?»
Syl ließ die Hände in den Schoß fallen und sah dann zu mirhoch. Im Licht des Feuers wirkte das Weiße in seinen Augen tiefrot, wie blutig.
«Ja, Junge», sagte er. «Ich kann dich hören.»
30
«Ich gebe dir keine Schuld daran», sagte Syl. «Aber das ist wirklich eine beschissene Art zu enden.»
«Syl, was ist mit Ihren Fingern passiert?»
Er schaute erst mich verständnislos an, dann seine Hände. «Sie hat das getan.»
«Wer?»
«Lilith», sagte er. «Sie wollte das Geld.»
Ich schaute weg. «Und was haben Sie ihr gesagt?»
«Ich kann mich nicht erinnern.»
Ich runzelte die Stirn. Er phantasierte. Es hatte keinen Sinn, auf einer Antwort zu bestehen. Bei Syl drehte sich anscheinend alles immer nur um Lilith.
Syl hustete. Ein dicker Blutfaden kam aus seiner Nase, lief über seine Lippen und tropfte auf das Laken.
Er bemerkte es nicht.
«Ihr werdet es nicht behalten können.»
«Warum nicht?»
Etwas, das entfernt an ein Lächeln erinnerte, huschte über sein Gesicht. Aber so genau konnte man das nicht sagen.
«Sie wird es euch nicht lassen.»
«Wer ist sie?»
«Lilith.»
«Selbst wenn sie irgendwo da draußen ist, wird sie uns nicht finden.»
Syl hustete wieder, und diesmal mischte sich ein Lachenin das Geräusch. «Genau deshalb gebe ich euch keine Schuld.»
Ich schüttelte den Kopf.
«Du glaubst mir nicht?»
Ich nickte.
«Es stimmt, es ist nicht eure Schuld. Ihr tut mir leid, beide, aber ich gebe euch keine Schuld.»
«Wir tun Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher