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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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echte
Direwölfe über die Erde gestreift waren. Es drängte sie, ein lautes Heulen
auszustoßen, aus Freude und Aufregung über das kommende Blutvergießen, aber sie
wollte ihre Beute noch nicht warnen.
    Ihre Augen waren nicht scharf genug, um die Gebäude genau zu
erkennen, die sich einen halben Kilometer von
ihrem Standort entfernt erhoben. Sie entdeckte lediglich einige
rechteckige Umrisse – unnatürlich rechteckig, menschlich rechteckig. Sie
nahm die roten und grünen Pigmente nicht wahr, die alle Wasserflächen um sie
herum färbten, aber sie roch das Schwermetall, das Ölpfützen gleich darauf
trieb.
    Sie bemerkte auch die Strahlung nicht, die wie Finsternis aus dem
Boden hervorsickerte. Sie hätte auf gar keinen Fall verstanden, dass das Land
hier von Uran verflucht war, von Radongas, von großen Vorkommen an Pechblende
und reinem Radium, das dem Ort seinen seltsamen Namen verliehen hatte.
    Aber dass dieser Ort verflucht war, das war ihr klar.
    Verflucht , hechelte sie, verflucht, verflucht . Für alle Ewigkeit verflucht. Wäre es
nach ihr gegangen, hätte sie einen anderen Ort ausgesucht. Jeden anderen Ort. Aber sie war ein Raubtier, das seiner Beute folgte.
Wenn die sich in verdorbener Erde eingrub, wälzte sich die Wölfin nötigenfalls in Gift, um an sie
heranzukommen.
    Und die Beute befand sich in der Nähe, das wusste sie. Trotz des
bitteren Winds, des Gestanks nach Schwermetall
und Erzbrocken, trotz aufgewühlter Erde, verrosteten Metalls und bröckelnden
Betons – allem zum Trotz witterte sie die Menschen. Den Menschen. Der sie
angekettet und fast in den Wahnsinn getrieben hatte.
    Als die Sonne unterging, suchte sie sich ihren Weg von dem Os nach
Port Radium. Und kläffte und wimmerte, weil die Verwandlung viel zu früh über
sie kam.
    Chey fluchte über die Schmerzen in ihren Gliedern. Arme und Beine
waren wund und steif. Langsam erhob sie sich und sah, dass sich die Welt
verändert hatte, während sie fort gewesen war.
    Zum Beispiel stand sie auf einer Straße.
    Nicht bloß auf einem Holzfällerweg oder Wildpfad. Auf einer
richtigen Straße. Aneinandergereihte Betonplatten führten in beide Richtungen
zum Horizont. Sie waren überall gerissen und verrottet, und aus den Spalten
wucherte irgendein graues Unkraut. Der unruhige Boden der Arktis hatte sich
aufgebäumt und den Beton verschoben, bis er fast wie zermahlener Fels aussah.
Die Natur war fleißig dabei, die verlassene Straße wieder in Besitz zu nehmen.
Aber es war noch immer eine Straße.
    Chey schlug die Arme vor die Brüste. Nackt durch einen unbesiedelten
Wald zu laufen, wo die nächsten Voyeure Hunderte Kilometer weit weg waren,
daran hatte sie sich gewöhnt. Aber nun stand sie eindeutig in einer
Stadt – und hatte keinen Fetzen zum Anziehen.
    Sie eilte von der Straße weg zwischen zwei riesige Stahlcontainer,
der eine rostrot, der andere fahlblau. Sie duckte sich in den blauen hinein und
lauschte dem beunruhigenden Echo ihrer
Schritte. Sie musste in Port Radium sein. Ihre Wölfin hatte offenbar die
sagenhafte Stadt gefunden.
    Sie spähte um die Ecke des Containers und entdeckte Gebäude im
Westen, lange Fabrikhallen mit eingestürzten Dächern und zerfallenen Wänden.
Dutzende Schornsteine ragten zyklopischen Schachfiguren gleich aus einem Brett
aus aufgewühlter Erde. Näher als die Gebäude stand ein einsamer Bulldozer mit
rostzernagter Schaufel und einem schwarzen Ledersitz, der zum Nest für einen
ausgeflogenen Vogel geworden war.
    Chey verstand die Botschaft. Dies
war vielleicht einmal Port Radium gewesen, aber Port Radium hatte längst
aufgehört, ein richtiger Ort zu sein. Außer den Leuten, derentwegen sie
gekommen war, gab es hier niemanden. Zumindest den Vorteil hatte sie.
    So schnell sie konnte, verließ sie in geduckter Haltung den
Container und hastete einen Hang aus loser Erde
und faustgroßen Steinen hinauf. Das nächste Gebäude sah nach einem
Flugzeughangar aus, einer gewaltigen Wellblechstruktur. Wind und Regen hatten
Löcher hineingebohrt, und Chey sah durch die Metallwände die untergehende
Sonne. Sie fand eine Tür oder zumindest den Rahmen, wo einst die Tür gewesen
war, und schlüpfte hinein.
    Orangefarbenes Licht fiel in staubigen
Bahnen herein und erschuf glühende Lichter auf dem Boden. In der Höhe
war ein massives Eisengerüst noch teilweise intakt. Am anderen Ende der Halle
erhob sich ein kegelförmiger hellbrauner Geröllhaufen mit steilen Seiten.
Daneben stand ein Kipplaster mit schräg stehender

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