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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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herum, um nach einer Frau
zu suchen, die ein paar Jungs in Uniform zu schätzen wusste. Wir wollten gerade
wieder umkehren, als ein Kamerad aus Vancouver mir zurief, ich solle anhalten.
Und da war sie, stand am Straßenrand, als warte sie auf uns. Eine Frau, eine
waschechte französische jeune fille , wie wir sie immer kennenlernen wollten, obwohl wir
genau wussten, dass das nie klappen würde. Oh, sie war wunderschön. Langes
rotes Haar und weiße Haut und keinen Faden am Leib.«
    »Das muss eine echte Überraschung gewesen sein«, meinte Chey.
    »O
mein Gott, ja. Vor allem damals. Du wirst mir das nicht glauben, aber wenn man
in jenen Tagen auch nur einen Mädchenknöchel sah, dann rannte man zu seinen
Freunden, um es ihnen zu erzählen. Als wir das Mädchen da stehen sahen, nackt,
wie Gott sie erschaffen hatte, nun, ich glaube, wir hielten sie für einen Geist
oder Engel oder so etwas. Keiner von uns konnte es fassen, dass wir so viel
Glück hatten. Aber wir waren im Krieg. Man begegnete dauernd irgendwelchen
Verrückten. Hast du mal von Kriegsneurosen gehört?«
    Chey runzelte die Stirn. »Heute heißt das Posttraumatische
Belastungsstörung.«
    Powell hob die Schultern. »Damals war das etwas völlig Neues, also
hatten wir unsere eigenen Namen dafür. Der Mensch ist nicht für Anblicke
gemacht, denen wir ihnen täglich ausgesetzt waren. Im Stacheldraht verfangene
Tote, die niemand zurückzuholen wagte. Ganze Teile der französischen Landschaft
verschwanden hinter Rauchwolken und kamen als Krater wieder zum Vorschein.
Männer wurden aus einer Meile Entfernung von Scharfschützen erschossen, weil
sie sich dummerweise im falschen Augenblick eine Zigarette angezündet hatten. Der Lärm der Granaten brachte Menschen um
den Verstand – und nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten. Wenn sie
Kriegsneurosen davontrugen, zogen sie sich in sich zurück. Sie wandten den
Blick ab und wurden ganz still. Und manchmal fingen sie an zu weinen oder
schrien, manchmal gingen sie auf jeden los, der ihnen in die Quere kam.
Verglichen damit … sah diese Frau völlig normal aus, sie war bloß nackt. Und
wir dachten nicht daran, ihr das zum Vorwurf zu machen.«
    »Also habt ihr – wie viele wart ihr eigentlich?«
    »Zu sechst, mich eingeschlossen«, antwortete Powell.
    »Sechs jungfräuliche Teenager suchen nach Prostituierten und finden
eine wunderschöne nackte Frau am Straßenrand. Ich nehme an, ihr habt
angehalten.«
    »Natürlich hielten wir an. Ich
sprang aus dem Wagen, rannte zu ihr,
nahm die Mütze ab und fragte sie, ob mit ihr alles in Ordnung sei oder sie
Hilfe brauche. Sie sprach ganz gut Englisch, gut genug, um uns eine Geschichte
zu erzählen, die wir ihr einfach nicht glaubten. Offensichtlich gab sie diese
Geschichte aus dem Stegreif wieder. Sie behauptete, Diebe hätten sie überfallen
und ihr die Kleidung geraubt. Wenn wir sie nach Hause führen, bekämen wir eine
Belohnung von ihr.«
    Chey lachte. »Ist das eine Horrorgeschichte oder ein Brief an das Penthouse -Forum?«
    Powell starrte sie verständnislos an, bis ihr dämmerte, dass er noch
nie von dem Magazin gehört hatte. Er war schon sehr lange im Norden.
    »Ihre Stimme klang wie die Kirchenglocke im nächsten Tal, wie aus
der Ferne, weißt du? Als spräche sie gar nicht mit uns, als wäre sie sich
unserer Anwesenheit kaum bewusst. Ihr Name sei Lucie, sagte sie, und sie sei
höchst erfreut, so anständige Gentlemen kennenzulernen. Ich glaube, ein paar
von uns hatten unanständige Gedanken, bevor sie das sagte, aber das beschämte
uns so sehr, dass wir unser vorbildlichstes Benehmen an den Tag legten. Damals
schafften es Damen noch, die Männer allein mit dem Ton ihrer Stimme auf den
angemessenen Platz zu verweisen. Man wusste, dass man mit ihnen einfach nicht
so umspringen durfte.
    Einer von uns bot Lucie seinen Mantel an. Sie zog ihn über, schloss
aber den Gürtel nicht, und man konnte immer noch … du weißt schon … alles
sehen. Ich zog in Betracht, ihr behilflich zu sein, aber das erschien mir als
eine ziemliche Freiheit meinerseits, und ich wollte mich nicht aufdrängen.
Stattdessen öffnete ich die Wagentür für sie, und sie setzte sich neben mich
auf den Beifahrersitz. Ich erinnere mich noch immer an das Gefühl ihres
glatten, weichen Oberschenkels, der sich gegen mein Bein drückte. Sie
dirigierte uns zu ihrem Haus. Es lag etwa zehn Kilometer entfernt im Schutz
eines tiefen Flusstals. Es war ein Schloss. Kein Château, keine Villa, sondern
ein

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