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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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Antiquitäten wären, aber man hatte sie
einfach dem Verfall überlassen. Und dann gelangten wir endlich in einen
schmalen Raum, in dem nur ein gewaltiger Käfig stand. Er war drei Meter hoch
und doppelt so breit, und die Gitterstäbe bestanden aus solidem Silber. Im
Kerzenschein funkelten sie wie schmale Spiegel.
    ›Der Mond geht auf‹, sagte Lucie zu mir. Ich begriff natürlich
nicht, was sie damit meinte. ›Willst du heute Nacht mein Gast sein? Die
Unterbringung ist bequemer, als sie aussieht.‹ Ich starrte sie an und hielt sie
für verrückt. Für schlimmer als verrückt. Du
kannst dir sicher denken, was dann geschah.«
    »Sie verwandelte sich«, sagte Chey.
    »Sie verwandelte sich.«

16   Eins
der Lastwagenräder versank in einem tiefen Schlagloch, und Chey und Powell
wurden von der Ladefläche gehoben und krachten zurück. Unwillkürlich griff sie
nach seinem Arm, um sich festzuhalten. Als ihr klar wurde, was sie getan hatte,
riss sie die Hand zurück. Er schien es nicht zu bemerken. Er war völlig in
seine Geschichte versunken.
    »Vor meinen Augen verwandelte sich dieses wunderschöne französische
Mädchen in eine Wölfin. Ich vermute, du hast nie die gesamte Transformation
gesehen – als du mich das erste Mal dabei beobachtet hast, hast du dich gleichzeitig ebenfalls verwandelt. Es
ist ein seltsamer Anblick. Der Körper wird geisterhaft und transparent.
Als würde der Mensch in seiner Existenz verblassen. Man sieht, wie das Skelett
wie Kerzenwachs schmilzt. Man sieht, wie der ganze Körper in sich zusammenbricht.
Dann scheint er sich wieder taumelnd auf die Füße zu erheben und nimmt von
Neuem feste Züge an. Farbe und Festigkeit kehren zurück – aber in
veränderter Form. Plötzlich steht man einem bösartigen Tier gegenüber. So betrunken ich auch war, so seltsam dieser
Tag auch gewesen sein mochte, ich wusste, dass es sich um keine Sinnestäuschung
handelte. Dieses knurrende, geifernde Wesen würde mich töten, und es würde
wehtun.
    Ich trat zurück, entfernte mich von dem Monster. Der Silberkäfig
hinter mir stand einladend offen. Selbst als die Wölfin mir an die Kehle
ging – und glaub mir, sie verschwendete keine unnötige Zeit –, sprang
ich rückwärts in den Käfig hinein und schlug die Tür hinter mir zu. Der
Schlüssel steckte im Schloss, und mit zitternden Fingern drehte ich ihn, um
mich einzuschließen. Dies bedeutete aber, dass sich meine Hand außerhalb des
Käfigs befand, nur einen Moment lang. Die Wölfin schlug die Zähne hinein. Biss
zu. Dann riss sie sie ab und schluckte sie wie ein Stück Fleisch hinunter.
    Der Schmerz war natürlich
unerträglich. Ich brüllte auf und fiel auf das schmutzige Stroh des
Käfigbodens, wo ich weiter schrie. Man kann nicht so lange wie ich in den
Schützengräben leben, ohne etwas über Erste Hilfe zu lernen, also tat ich mein
Möglichstes, um zu überleben. Ich schlang meinen Gürtel um das blutspritzende
Handgelenk und versuchte den Blutverlust zu stillen. Ich versuchte nicht in
Panik zu verfallen. Das war nicht gerade einfach. Die ganze Zeit über warf sich
die Wölfin gegen den Käfig, versetzte die Gitterstäbe wie Glocken in
lautes Dröhnen. Der Schmerz wurde immer schlimmer, aber mein Entsetzen war fast
noch größer. Das Entsetzen, mit dieser Wölfin
allein zu sein, denn das war wirklich schrecklich. Aber ich erkannte bald, dass sie nicht durch die Gitterstäbe hindurchlangen
konnte. Sie waren nicht besonders dick,
aber bei jeder Berührung sprang die Wölfin zurück, als wären sie glühend heiß
und sie hätte sich verbrannt. Sobald ich also wusste, dass ich in Sicherheit
war, wandten sich meine Gedanken
anderen Überlegungen zu. Zum Beispiel fragte
ich mich, was gerade mit meiner Hand geschehen war. Ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, den Rest meines Lebens, meine
natürliche Lebensspanne lang, mit nur einer Hand auszukommen. Auf dem
Schlachtfeld hatte ich mehr als genug Amputierte gesehen. Dauernd wurde
Soldaten irgendein Körperteil abgeschossen. Ich hätte nie geglaubt, dass auch
mir das zustoßen könne, aber nun starrte ich auf einen zerfetzten Stumpf und
musste mich dieser Realität stellen. Welche Frau würde mich noch wollen? Wie
sollte ich Arbeit finden?
    Während ich also dalag und in Selbstmitleid versank, hielten sich
meine Kameraden noch immer in den oberen Räumen auf. Die Baronin de
Clichy-sous-Vallée riss sie in Stücke. Vielleicht versuchten sie sie
abzuwehren – wir waren alle bewaffnet, trugen

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