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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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etwas wie einen Wolfsriemen
gab – einen Gürtel oder ein Geschirr – , und wer ihn umlegte, nahm
Wolfsgestalt an. Wann immer der Betreffende wollte, konnte er ihn wieder
ablegen und sich in einen Menschen zurückverwandeln. Als ich später wieder frei
war, verschwendete ich viel Zeit mit der
Forschung nach Wolfsgürteln und wollte herausfinden, ob es jene
Vorrichtungen tatsächlich gab. Ich ging von
der Annahme aus, dass ein solcher Gürtel möglicherweise die Verwandlung
zu verhindern vermochte. Vielleicht gab es ja eine Möglichkeit, wieder normal
zu werden. Aber ich fürchte, das war nur ein Traum. Diese Geschichte war
einfach ein Mythos.
    Die Werwölfe in der Renaissance konnten genauso wenig in der
menschlichen Gesellschaft leben wie du und ich. Sie verwandelten sich, sie
streiften frei umher. Sie brachten Menschen um. Es gab Zeiten, da überrannten
sie die Bevölkerung geradezu. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert wurden
in Deutschland und Frankreich Tausende, Zehntausende Werwölfe auf dem
Scheiterhaufen verbrannt, gehängt oder zu Tode gefoltert. Die Kirchenleute auf
ihren Kanzeln und die Mächtigen tönten von einer Epidemie, die das Land
heimsuche und dass die Sündhaftigkeit des Menschen sie endlich einhole. An
manchen Orten brannte man ganze Dörfer nieder, weil man jeden Bewohner für
einen Werwolf hielt.«
    Chey stieß einen ungläubigen Pfiff aus.
    »Seltsam nur, dass sich Werwölfe freiwillig stellten. Sie gestanden
in gewaltiger Zahl. Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob es wirklich so
viele Wölfe waren oder ob es sich um eine Massenhysterie handelte. Oft genug spielte das keine Rolle. Wenn die Behörden einen
Werwolf einfingen, dann drohte ihnen stets der Tod. Traditionellerweise begrub
man sie mit abgeschlagenen Köpfen, und die Herzen wurden mit Silberkreuzen
durchbohrt.«
    »Igitt.«
    »Verbrennen und Hängen hätte sie nicht für alle Ewigkeit getötet.
Beim nächsten Mondaufgang hätten die Körper sich verwandelt, selbst in den
Särgen. Die Silberkreuze sollten sie demnach endgültig erledigen. Aber nicht
sofort.«
    Chey kniff die Augen zusammen und versuchte nicht darüber
nachzudenken, was das zu bedeuten hatte.
    »Um achtzehnhundert war unsere Art von Wölfen ausgerottet, zumindest
glaubte man das allgemein. Zu meiner Zeit sah man darin nur noch alberne
Geschichten aus der Vergangenheit. Tatsächlich verschwanden die Wölfe
nie – sie verbargen sich bloß. Lucie in ihrem Käfig war nicht die Einzige.
Ich stieß auf andere alte Bestien, legendäre Ungeheuer. In Spanien lernte ich
den Sohn eines Herzogs kennen, der eingesperrt in einem Silberpalast lebte, einem winzigen Haus aus Silber im Hof eines
riesigen Schlosses. Er hatte Diener, die ihn mit langen Gabeln durch die
verrammelten Fenster fütterten, und einen
Leibdiener, den er nur deshalb mit dem Fluch belegt hatte, um jemanden
zum Ankleiden und Frisieren zu haben. Es hatte manchmal den Anschein, als hätte
jede Aristokratenfamilie Europas zumindest einen
von uns irgendwo versteckt. Natürlich ergab das sogar einen gewissen
Sinn. Bauern, die sich in Wölfe
verwandelten, wurden gnadenlos gejagt. Konnte man sich jedoch einen Silberkäfig
leisten, erhielt man einen gewissen Spielraum. Unter dem Feudalsystem befanden sich diese Adligen buchstäblich außerhalb
der Reichweite des Gesetzes – kein Gericht konnte sie verurteilen. Also lebten sie irgendwo verborgen,
manchmal sogar jahrhundertelang. Natürlich waren sie alle irrsinnig. Ihre
Familien fühlten sich ihnen gegenüber im Wort – gemäß dem Grundsatz Adel verpflichtet. Aber ich glaube, sie hatten einfach nur
Angst, man könne ihr Geheimnis entdecken. Verhielten sie sich vorsichtig, kamen
sie damit durch, und diese alten europäischen Familien hatten gelernt,
ausgesprochen vorsichtig zu sein.
    Natürlich spielten Lucie und die Baronin nicht in dieser Liga. Sie
waren beide verrückt. Niemand in ihrer Umgebung hatte noch seine Sinne
beieinander und hielt sie unter Kontrolle. Vielleicht war das ein weiterer
Grund, warum sie mich haben wollten. Aber zuerst mussten sie mich zähmen.
Während der ersten Woche hielten sie mich in dem Käfig eingesperrt, selbst als
sich mein Körper immer wieder verwandelte. Sobald sie sich zusammentaten, waren
sie stärker als ich – was also sollte ich tun? Sie gaben mir rohes Fleisch
zu essen und schmutziges Wasser zu trinken, bis ich selbst verrückt wurde.
Irgendwann kam eine Patrouille vorbei, die nach mir und meinen

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