Frostbite
dieser
Teil ihres Lebens dem Ende näherte, hatte sie wirklich befürchtet,
Alkoholikerin zu sein. Aber wie sich herausstellte, war der Alkohol gar keine
so große Versuchung wie befürchtet, und die Arbeit war ziemlich einfach und
wurde gut bezahlt. Es störte sie nicht, Ukrainern
mit Cowboyhüten und echten Cowboys mit
Baseballmützen, die jeden Abend so zuverlässig wie Ebbe und Flut in den Laden
strömten, Schnäpse zu servieren. Sie störte sich nicht an ihren
dreckigen Witzen oder den anzüglichen Bemerkungen. Eigentlich machte sie sich
nie Gedanken über die Aussagen anderer. Das, was sie einem antaten, davor
musste man sich in Acht nehmen.
Die Bar hatte den Ruf, ein wirklich harter Laden zu sein, aber für
die drei Bedienungen gab es keinen sichereren Platz auf der ganzen Welt. Am
Tisch neben der Tür saßen die ganze Nacht über Rausschmeißer, stämmige
Burschen, die umsonst tranken, aber nie zu viel. Ging etwas schief, schlüpften
die Bedienungen hinten hinaus und rauchten eine, während die diensthabenden
Rausschmeißer sich um das Problem kümmerten. Als Chey anfing, hätte sie nie geglaubt, dass ein Typ – ganz
egal, wie groß – so viele Schläger unter Kontrolle halten konnte. Sie
lernte schnell, dass es eine Kunst war. Gute Rausschmeißer warteten nicht
darauf, bis es zu einer Schlägerei kam. Sie
behielten die Menge im Auge, und sie erkannten sofort, wer Ärger machen würde:
jene, die zu laut lachten oder gar nicht lachten, die wirklich bösartigen
Schlägertypen, die zum Vergnügen Kämpfe provozierten, die kleinen Dürren, die
aussahen, als müssten sie etwas beweisen. Fing der Ärger an, ging der
Rausschmeißer dazwischen, packte den Arm des Idioten und schleppte ihn nach
draußen, bevor der überhaupt wusste, wie ihm geschah. Es war wirklich eine
Seltenheit, dass ein Schlag landete – für gewöhnlich endeten die
Auseinandersetzungen schon lange vorher.
So verhinderte man, zum Opfer zu werden, erkannte Chey. So wurde man
nicht zur Beute. Man fand heraus, wo die potenziellen Raubtiere lauerten, und
zerrte sie aus ihrem Versteck, wenn sie nicht damit rechneten. Das merkte sie
sich gut.
Natürlich waren nicht alle Männer, die in die Bar kamen, auf Gewalt
aus. Gelegentlich packte ihr jemand an den
Arsch oder machte einen albernen Annäherungsversuch. Gelegentlich war
sie gelangweilt oder geil oder nach Feierabend einfach noch nicht müde genug
und ging mit einem von ihnen mit. Die Rausschmeißer hätten sie mit keinem Kerl
abziehen lassen, der möglicherweise gefährlich werden konnte, also wusste sie,
dass alles in Ordnung war. Sie hatte ein paar Regeln, um sicherzugehen, dass
keiner je ein zweites Date bekam. Niemand kam je mit in ihr Zimmer, und sie
fuhr immer im eigenen Auto – ganz egal, was sie auch versprachen. Ein paar
von ihnen wollten ihr fester Freund werden. Ein paar von ihnen wollten sie
heiraten. Sie blieb nie so lange, bis die Typen wieder nüchtern waren und
entscheiden konnten, ob sie es ernst meinten oder nicht.
Viele fragten sie nach ihrer Tätowierung, aber sie schüttelte immer
nur den Kopf und lächelte zur Antwort. Ganz selten erkannte sie jemand. Chey
hielt sie für Werwolffans. Männer, die von der Vorstellung angezogen wurden,
dass Chey der andere Teil der Raubtier-Beute-Beziehung gewesen und unversehrt
zurückgekommen war. Diesen Typen ging es um mehr als bloße Neugier – es
konnte gar nicht anders sein, nachdem sie wussten, wer sie war. Sie sah nicht
mehr so aus wie mit zwölf, als sie in der Zeitung gestanden hatte. Sie hatte
keine Ahnung, wie diese Männer ihre wahre Identität herausgefunden hatten, aber
sie machte sich auch nicht die Mühe und fragte nach. Was den Umgang mit ihnen
anging, gab es ebenfalls Regeln. Sie bekamen einen Drink auf Kosten des Hauses,
und dann gab man ihnen höflich zu verstehen, sie sollten die Klappe halten.
Hielten sie die Klappe nicht, riet man ihnen, nach Hause zu gehen. Gingen sie
nicht, rief Chey die Rausschmeißer.
Die Arbeit endete nie vor vier oder fünf Uhr morgens, wenn das
Reinigungspersonal kam und alle Stühle auf die Tische gestellt wurden.
Stammgäste, die so lange geblieben waren, durften sich umsonst bedienen, wenn
sie dafür die Gläser spülten. Die Bartender gingen, sobald die Tür verschlossen
war.
In den meisten Nächten fuhr Chey direkt nach Hause, aber manchmal
wusste sie, dass sie nicht schlafen konnte, also unternahm sie etwas anderes.
Im Westen von Kanada kann man um fünf Uhr morgens nicht
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