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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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Schnauze.
    Später hörte sie Schüsse, und ihr Schwanz wedelte über den Boden,
aber sie war zu schwach, um die Ohren zu spitzen.
    Sie lag einen weiteren Tag und eine weitere Nacht auf dem Boden des
Feuerturms, rollte sich herum, wenn sie konnte, zu schwach und zu hungrig, um
mehr tun zu können als zu hecheln und zu warten und zu hecheln und sich nach
Schlaf zu sehnen.
    Ihr fehlte die Kraft für einen einzigen Laut, aber in den
verborgenen Räumen ihres Herzens stieß sie ihr Heulen aus. Und heulte und
heulte.

44   Schließlich
erwachte Chey im Silberlicht.
    Ihr Mund klebte am Fußboden. Die
Hände lagen unter ihrem Körper, vom eigenen Gewicht festgenagelt. Sie
schienen blutleer zu sein und kribbelten schmerzhaft. Unerträglich.
    Ihre Augen fühlten sich an wie Rosinen. Vertrocknet, gespalten und
zerbrochen. Sie rollte sich auf den Rücken, und vor Anstrengung kniff sie die
Augen zusammen. Sie war hungrig, und Insekten schienen ihren Bauch zu
bevölkern, schienen ihn ausgehöhlt zu haben. Statt des Magens spürte sie nur
eine klaffende Leere.
    »Hunger«, stöhnte sie. Wenigstens hatte sie eine Stimme. Eine Stimme
bedeutete, dass sie wieder ein Mensch war. Manchmal war das schwer
festzustellen. »Hunger«, wiederholte sie, und ihr Hals zersprang. Niemand
konnte sie gehört haben – sie rechnete auch nicht damit. Aber sie war
hungrig.
    Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie spät es war oder wie viele
Tage vergangen waren. Ihre Gedanken waren lose und klein, und sie bekam nicht die
nötige mentale Energie zusammen, um selbst die einfachsten logischen Schlüsse
zustande zu bringen.
    »Hunger.« Dieses Mal hatte sie es nicht nur gedacht. Es kam einfach
aus ihr heraus wie ein feuchtes Aufstoßen.
    Kein Wasser, kein Essen – hätte sie nicht schon tot sein
müssen? Aber nein. Der Fluch verhinderte, dass sie starb.
    Sie schloss die Augen. Vielleicht verwandelte sie sich, vielleicht
auch nicht. Sie sah nur Dunkelheit.
    Als sie die Augen wieder öffnete,
fühlten sie sich etwas besser an. Da war ein Geräusch – ein
beruhigendes Geräusch. Etwas pochte auf das Dach. Viele Leute, die ganz sanft
pochten. Dort oben hatte sich eine Menschenmenge versammelt, und sie …
    Ein Wassertropfen sickerte durch die Schindeln und fiel neben ihrem
Gesicht in den Staub. Oh, dachte sie. Es regnet. Sie schloss abermals die
Augen.
    Plötzlich warf sie sich gegen die
Turmwand, krachte noch einmal dagegen, versuchte den Turm umzuwerfen, wollte
ausbrechen. Ihre Hände griffen nach dem Holz und zogen und zerrten und … und …
sie konnte nicht … sie bekam keine Luft … sie sank erneut zu Boden und schloss
die Augen.
    Wasser tropfte eine Wand herunter. Ein dünner, schmaler Strom, der
sich einen Weg um die Splitter herum bahnte und sich in den Wolfskratzern
sammelte. Gebannt starrte sie das Rinnsal an, hob die Hände, um es zu berühren,
senkte sie wieder. Als würde es versiegen, falls sie hineinfasste. Als hätte es
sich bloß gebildet, um sie zu verhöhnen.
    Ihr Mund brannte. Ihre Augen fühlten sich an wie hart gekochte Eier,
als wären sie in ihrem Kopf angeschwollen. Es schmerzte, sie zu bewegen. Als
wären ihre Augenhöhlen mit Sand gefüllt und die Augäpfel würden dagegenschaben.
    Das winzige Rinnsal floss weiter. Sie beugte sich vor. Berührte die
Feuchtigkeit mit der Zunge. Auf ihrer zersprungenen und angeschwollenen Haut
fühlte sich das Wasser wie Eis an. Es spritzte über die Innenseiten ihres
Munds, benetzte die Zähne. Es fühlte sich so gut an, dass sie lachte. Sie
drückte den Mund gegen die Holzwand und leckte, leckte wie ein Tier.
    Wie ein Hamster im Käfig, der an seinem Wasserröhrchen saugte.
    Es war ihr scheißegal.
    »Es ist mir scheißegal, irgendwelche Einwände?«, fragte sie ins
Leere hinein. Denn da war niemand. Sie leckte weiteres Wasser von der Wand auf.
    Als sie fertig war, ließ sie sich auf den Boden zurückfallen. Und
schloss die Augen. Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht.
    Klopf, klopf. Sie öffnete die Augen,
bewegte sich aber nicht. Klopf, klopf. Da verlangte
jemand Einlass – nein, sie hatte ja auch geglaubt, die Regentropfen seien
Menschen, die aufs Dach pochten, aber … Klopf, klopf.
    »Ich bin hier!«, kreischte sie und rollte sich herum. Ihr kam zu
Bewusstsein, dass sie nackt war. Ihr kam zu Bewusstsein, dass ihr die Kraft für
einen lauten Schrei fehlte. Sie krächzte erneut. »Bitte! Ich bin hier! Und ich
bin ein Mensch!«
    Die Falltür hob sich ächzend an ihrer Feder. Eine

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