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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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mich vielleicht doch geirrt habe,
dass mich andere Menschen doch verstehen können. Ich ginge nach Süden, bloß um jemanden
zu sehen. Ich brächte andere um.«
    »Ja, ein einsamer Wolf zu sein, das ist schon hart. Du brauchst ein
Rudel.«
    »Was?«, fragte sie, während sie die Pistole an der Stirn anlegte.
    »Du hast gesagt, ich sei kein Mensch, und das stimmt. Aber du auch
nicht. Nicht mehr.«
    »Halt den Mund!« Sie packte die Pistole mit beiden Händen, damit sie
nicht so zitterte.
    »Du bist ein Wandler«, fuhr er
fort, als hätte er sie nicht gehört. »Kein Mensch. Du solltest Monty suchen,
denn meiner Meinung nach brauchst du ihn. Gründe ein Rudel mit ihm. Dann geht
es dir wieder besser.«
    »Auch Powell will mich töten.«
    Dzo lachte. »Ach, hör doch auf! Wirklich? Hast du es ihm wirklich
geglaubt, als er’s sagte?« Er kratzte sich am dicken Bauch. »Niemals. Er war
zornig, klar, weil du ihn … nun ja, verraten hast.«
    »Ja«, sagte sie. »Ich habe ihn verraten.«
    »Aber wie er dich ansieht, Mann! Wie er über dich spricht. Ich habe
lange Zeit mit ihm zusammengelebt, und ich habe ihn nie mehr als ein Dutzend
Worte auf einmal sagen hören. Dann kommst du vorbei, und der Bursche hält
einfach die Klappe nicht mehr. Er muss auch in einem Rudel leben. Es ist eine
echte Schande. Ich glaubte ernsthaft, ihr beiden könntet es zusammen schaffen.
Nun ja. Hey, ich verstehe nicht viel von Pistolen und so. Aber wie es aussieht,
ist sie noch gesichert.«
    Chey riss die Pistole vom Gesicht weg. Starrte sie an.
    »Das ist der kleine Hebel dort. Einfach nach links schieben«, sagte
er hilfsbereit.
    »Dzo …«, setzte sie an und wusste einfach nicht mehr weiter.
    »Soll ich es für dich tun?«
    »Dzo. Ich will nicht sterben.«
    »Dann solltest du sie lieber gesichert lassen.« Er hob abermals die
Schultern.
    »Ich will doch bloß nicht allein
sein.« Sie legte die Pistole sanft auf den Boden. Und dann bedeckte sie das
Gesicht mit den Händen und stöhnte. Lange und laut. Angesichts der Erkenntnis
erzitterte ihr ganzer Körper. Angesichts der Erkenntnis, dass sie nicht sterben
wollte. Dass sie überleben wollte. »Ich habe so viele Fehler gemacht. Aber ich
will leben.«
    Es schmerzte. Es schmerzte sogar sehr. Ihr Körper stieß ihre alte
Menschlichkeit ab. Ihren Glauben, dass das alles nur eine Weile Bestand hatte
oder dass es vielleicht eine Heilung gab. Sie nahm hin, dass sie sich verändert
hatte, dass sie ein Lykanthrop war. Sie nahm hin, was immer das bedeutete.
    Zum einen bedeutete es, dass sie sich bei Powell entschuldigen
musste. Ihm alles erklären musste. Ihn davon abhalten musste, sie zu töten.
Denn sie konnte nur auf eine einzige Weise überleben – und das wollte sie,
und wie sie das wollte –, und zwar mit seiner Hilfe.
    Es bedeutete auch, dass sie kämpfen musste. Bobby und die
Pickersgills wären nicht erfreut, wenn sie sich nicht wie befohlen umbrachte. Möglicherweise versuchten sie sie
wieder einzusperren. Oder versuchten sie zu töten. Sie musste sich verteidigen.
    Vor allem aber bedeutete es, aus diesem Turm zu entkommen.
    »Nun«, sagte Dzo, und ihm war
anscheinend irgendwie unbehaglich zumute, »wenn alles klar ist, dann gehe ich am besten.« Er machte Anstalten aufzustehen.
    »Warte, Dzo! Kommen wir hier irgendwie hinaus? Dann lass uns
anderswo hingehen und dort miteinander reden. So gut wie jeder andere Platz
wäre mir recht.« Er muss durch die Falltür gekommen sein, dachte sie, denn es
gab keinen anderen Eingang. Was bedeutete, dass die Tür offen stand. Sie kroch
zur Falltür und riss an dem Ring – und hätte sich um ein Haar die Schulter
ausgekugelt. Sie war so fest verschlossen wie zuvor. Sie zog noch einmal, nur
der Form halber, aber es änderte sich nichts.
    Sie sah Dzo an. Er hob die Schultern.
    Wie war er hereingekommen?
    Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie nackt war, und sie griff nach
ihrem Pullover. Dzo sah nicht weg oder errötete. »Das … das bedeutet dir gar
nichts, richtig?«, fragte sie. Und zog das Kleidungsstück trotzdem über. »Dir
ist es einerlei, ob ich nackt bin.«
    »O
je, meinst du, ob es mich interessiert, was du trägst oder ob du überhaupt
etwas am Leib hast?«
    Sie nickte.
    »Nun, um ehrlich zu sein – nein.« Er kratzte sich wieder am
Bauch. Die Frage schien ihm unangenehmer zu sein als ihre Nacktheit. »Ich
meine … mir reicht kaum die Zeit, um zu erkennen, welche Hautfarbe ihr habt.
Irgendwie verschmelzen alle Menschen in meinem Kopf.

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