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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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Sie sind wie
Eintagsfliegen, ja? Gerade eine Sekunde da, und schon sind sie weg. Ich mag
euch Gestaltwandler lieber, weil ihr etwas länger bleibt, aber … nun,
trotzdem.«
    Sie nickte wieder, ohne ein Wort verstanden zu haben.
    Vielleicht sollte sie sich später darüber Gedanken machen. »Dzo, du
bist irgendwie hier hereingekommen. Wenn ich dich frage, wie du das angestellt
hast, kapiere ich die Antwort höchstwahrscheinlich nicht.«
    »Bin durch das Wasser gesprungen – ich bin ein ziemlich guter
Schwimmer.«
    »Siehst du, was ich meine?«, sagte sie. »Kann ich … durch das Wasser
springen? Um hier hinauszukommen?« Was auch immer das bedeutete, welch
seltsame, völlig bizarre Handlung dafür auch erforderlich sein mochte, sie
würde es einfach tun. Das wusste sie. Alles, nur um diesem Turm zu entkommen.
    Sein Gesicht hellte sich auf, als er über ihre Frage nachdachte.
»Nun«, sagte er dann. »Nein.«
    »Okay.«
    »Nein, weil jenes Wasser, von dem ich rede, nicht wie das Wasser
ist, das du kennst. Es ist sozusagen überall gleichzeitig, und vermutlich weißt
du nicht, wie man darin schwimmt.«
    »Richtig«, stimmte sie ihm zu.
    »Nun, und es dir beizubringen … so etwas hat man schon gemacht, aber
das ist lange her. Irgendwann damals, als alle Geschichten noch wahr waren.«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst«, sagte sie
und gab sich geschlagen. Sie ließ sich gegen die Wand des Feuerturms sinken und
schloss die Augen.
    »Aber das heißt nicht, dass es für dich keinen Ausgang gibt. Ich
sehe sogar einen guten Ausgang, jetzt, in diesem Augenblick.«
    »Das tust du.« Es war keine Frage. Weil sie keine Antwort erwartete,
zumindest keine sinnvolle Antwort.
    »Ja, klar«, sagte er. »Du machst einfach eines dieser Fenster auf
und springst hinaus.«

Teil vier
    Port Radium

46   »Das sind fast dreißig Meter bis zum Boden«, sagte Chey und starrte in die nächtliche
Dunkelheit hinaus. Einen Schlagladen hatte sie hochgeklappt, aber der Mond war
nicht aufgegangen (natürlich war er nicht aufgegangen, denn sonst hätte sie ja
ihre Wolfsgestalt angenommen), und außer den Zweigen der nächsten Bäume
erkannte sie nichts. Zum Beispiel sah sie den Boden nicht. Hätte sie abschätzen
können, wie weit es tatsächlich bis nach unten war, hätte sie vermutlich noch
mehr Angst bekommen. In der pechschwarzen Dunkelheit war es vielleicht möglich,
auf den Fensterrand zu klettern und hinunterzuspringen. Die Vorstellung war
Furcht einflößend. »Ich breche mir den Hals.«
    »Nein, tust du nicht.« Dzo lehnte sich hinaus und spähte nach unten.
»Du bist eine Wandlerin, schon vergessen? Es wird bloß saumäßig wehtun.«
    Chey fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen. »Ich
bin mir nicht sicher, ob ich das schaffe.«
    Dzo schüttelte heftig den Kopf. »Du
fragst mich, ob ich einen Ausgang kenne. Du siehst ihn. Mach mich nicht dafür
verantwortlich, wenn du zu feige bist.«
    »Du bist kein Mensch. Vermutlich
bist du nicht einmal richtig lebendig. Eher ein Geist. Empfindest du überhaupt Schmerzen? Hast du je Schmerzen gehabt?«
    Dzo wiegte den Kopf hin und her und hob die Schultern. Es war eine
vieldeutige Geste. »Klar habe ich das«, sagte er schließlich. »Irgendwie.
Ehrlich gesagt, nein, vermutlich nicht.«
    »Nun, Schmerzen sind kein
Spaß – das trifft es ziemlich genau. Schmerzen sind das Gegenteil von
Spaß. Vielleicht sollte ich einfach das Risiko eingehen und hierbleiben.« Und
mir mit meiner einen Silberkugel den Schädel wegblasen, fügte sie in Gedanken
hinzu. »Ich meine, selbst wenn ich den Sturz überlebe, selbst wenn ich mich von
den gebrochenen Knochen und der durchbohrten Lunge und dem Blutverlust und allem erhole, läge ich noch immer da unten. Mitten in diesen Wäldern, wo ich sterben soll, wenn’s Bobby
nach ginge. Hier oben bin ich wenigstens sicher vor ihm.«
    »Bis er zurückkommt und herausfindet, dass du dich nicht wie geplant
umgebracht hast«, machte ihr Dzo klar.
    »Ja. Wie lange dauert es bis zum Mondaufgang?«
    »Keinen Schimmer«, antwortete er. Sie starrte ihn an, und er
erwiderte bloß ratlos ihren Blick. »Glaubst du,
ich habe einen eingebauten Mondkalender am Kopf? Hör zu, wenn du wissen
willst, wo das nächste Wasser ist und wie tief es ist und was auf dem Grund
liegt, dann bin ich dein Mann. Aber warum willst du das überhaupt wissen?«
    »Wenn ich aus diesem Fenster springe, wenn ich da unten lande und
mir den Hals breche, dann leide ich

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