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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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sie so gut wie gar nicht. Dann fiel es ihr wieder ein. Es
war derselbe Ort, den sie bereits früher auf Karten gesehen hatte – die
einzige Stadt in der Nähe von Powells Hütte. Allerdings hatte der Name immer
Echo Bay gelautet. Vielleicht hatte man ihn geändert – die Bezeichnung
Port Radium schien nicht unbedingt zu einem Besuch zu verlocken.
    Auf dem Grund der Tasche entdeckte
Chey ein Satellitenhandy. Das gleiche wie jenes, mit dem sie Bobby
gerufen und alles versaut hatte. Bobby. Welche Närrin war sie doch gewesen,
als …
    Nein, so wollte sie nicht denken. Er hatte sie benutzt. Sie einfach
ausgenutzt.
    Und nun hatte Bobby den Leuten von
Western Prairie befohlen, sie auf der Stelle zu erschießen. Er wollte
sie töten. Genau wie Powell. Sämtliche Männer in ihrem Leben trachteten ihr
nach dem Leben.
    Nun – mit einer Ausnahme.
    Ohne genau zu wissen, was sie tat, tätigte sie einen Anruf. Sich an
die richtige Nummer zu erinnern, fiel ihr
schwer, aber nach einigen Fehlversuchen war sie ihr eingefallen. Sie
presste das Telefon ans Ohr und lauschte ein paar Sekunden lang der Statik,
dann läutete das Telefon. Es klickte, und jemand antwortete.
    »Hallo«, sagte das Telefon. »Sie sprechen mit der Bolton’s Valley
Pferderanch. Vermutlich sind wir gerade ausgeritten, aber wenn Sie die Eins
drücken, können Sie …«
    Chey drückte Eins und hielt das Handy wieder ans Ohr. Das Klingeln
am anderen Ende war kaum hörbar. Dann sprach sie, so schnell sie konnte.
    »Onkel Bannerman, hier ist Cheyenne. Ich wollte dir nur sagen, was
mir passiert ist. Ich bin … verwandelt worden.« Sie schloss die Augen. Ließ zu,
dass sie sich einen Moment lang wie ein Mensch fühlte. Ging es hier darum?
Wollte sie sich von dem einzigen Menschen verabschieden, den sie noch immer
liebte? Oder verabschiedete sie sich von dem kleinen Mädchen, das sie gewesen
war, dem kleinen Mädchen, das noch immer ein Mensch war? »Es gibt keine
Heilung. Keiner kommt dagegen an. Aber du sollst wissen, dass Bobby … Fenech
mich in der Erwartung hier heraufgeschickt hat, dass ich umkomme. Du hattest
recht – er ist nicht vertrauenswürdig. Das … das wollte ich dir noch
sagen. Ich bin unterwegs zu einem Ort namens Port Radium. Vermutlich werde ich
dort getötet. Falls nicht, ist es auch in Ordnung. Ich dachte, du willst das
vielleicht erfahren.«
    Sie wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Was sie noch
sagen konnte. Sie beendete den Anruf und schob
das Handy in eine der Taschen von Frank Pickersgills Jacke. Dann setzte
sie sich einfach hin und gab sich eine Weile Mühe, nicht das heulende Elend zu
kriegen.
    Sie nahm Franks Stiefel. Er hatte drei Paar trockene Socken in der
Tasche, und wenn sie sie übereinanderzog, würden die Stiefel fast passen.
Zumindest dieses eine Mal hätte sie warme Füße.

50   In dieser Nacht wanderte Chey mit dem Fatalismus
der wahrhaft Verdammten durch den Wald. Ihre Füße schmerzten, denn die locker
sitzenden Stiefel verursachten Blasen, und ihr Körper zitterte vor Kälte,
Hunger und Erschöpfung. Aber das spielte alles keine Rolle. Falls sie Gedanken
nachhing, waren es dunkle, erdige Gedanken, die sofort zerbröckelten, wenn sie
sie fassen wollte. Die Landschaft veränderte sich, aber ihr fiel kaum auf, dass
die Bäume dünner und niedriger wurden. Die Welt wurde auch feuchter und
verwandelte sich in ein Reich aus teilweise gefrorenem Sumpfland, in dem
Baumwurzeln wie krumme Rohre in schwarzes Wasser eintauchten. Einmal überquerte
sie einen Fluss, einen Streifen aus braunem Wasser, der in der Mitte so tief
war, dass sie schwimmen musste. Das kalte Bad weckte sie etwas auf –
machte sie so munter, dass sie den toten Wald sah, der sich an das gegenüberliegende
Ufer anschloss.
    Die Bäume ragten dort so weiß wie
Knochen aus dem Boden auf und deuteten schief auf die kalten Sterne am Himmel.
Sie trugen weder Blätter noch Nadeln, und die Äste standen hervor wie
gebrochene Rippen oder fehlten ganz.
    Eine Ascheschicht überzog den Boden. Hier musste kürzlich ein
Waldbrand gewütet haben. Bei jedem Schritt wogten pulverige graue Überreste in
die Luft. Was war hier geschehen? Bestimmt waren die Leute von Western Prairie nicht so dumm gewesen, eine glühende
Kippe ins Unterholz zu werfen. Vielleicht hatte in der Nähe ein Blitz
eingeschlagen. Chey wusste, dass die kleineren Pflanzensorten wie Gras, Moos
und Büsche nach einem Feuer schnell wieder wucherten, aber nirgendwo war etwas
Grünes zu

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