Frostblüte (German Edition)
Steinschlag, den wir als Versteck ausgewählt hatten, war ungefähr dreihundert Meter von den großen Holztoren entfernt, die die Außenmauer der Tempelfestung sicherten. Kundschafter der Berggarde hatten berichtet, dass das Fallgitter hinter den Toren Tag und Nacht von zwei aufständischen Kriegern bewacht wurde, die es herunterrasseln lassen würden, sobald jemand versuchte den Eingang zu stürmen. Es war ein geniales System. Mit einem Schwachpunkt.
»Regt sich da unten etwas?«, fragte Arian leise.
Ich schüttelte den Kopf, als ich mich auf die Fersen hockte und mir abwesend die Finger rieb. Das dünne Leder meiner Stulpen war kein großer Schutz gegen die bittere Kälte so hoch oben in den Bergen.
»Bist du nicht aus Uskaand? Das bisschen Kälte sollte dir doch nichts ausmachen«, sagte Arian ungerührt. Er griff nach meinen Händen.
Ich zog sie nervös zurück. »Arian –«
»Idiotin.« Mit einer entschiedenen Geste packte er meine Handgelenke und schob meine Hände in meine Kniekehlen. »Lass sie dort. Da werden sie warm.«
Es entstand ein verlegenes Schweigen.
»Äh. Danke.«
Arian nickte kurz, ohne mich anzusehen. Schuldgefühle und Dankbarkeit ließen mein Herz zusammenkrampfen. Wir kauerten weniger als eine Armlänge entfernt nebeneinander, und trotzdem schien die Einsamkeit einen dunklen Schleier über ihn zu legen und von mir zu abzukapseln. Ich hätte ihn gern in seinem Schmerz getröstet, doch ich war ja der Grund dafür. Ich hätte es nur noch schlimmer gemacht.
Nach einer Minute sagte ich: »In Uskaand sind wir schlau genug, uns im Winter einzupacken. Kein Mensch verlässt das Haus ohne pelzgefütterten Mantel, Stiefel und Fausthandschuhe. Eine Rüstung ist nicht dasselbe.« Ich sah auf seine Hände. »Du trägst nicht mal Handschuhe. Warum fallen deine Finger nicht ab?«
Er zuckte die Achseln. »Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, lag fast genauso hoch und ich besaß nie Pelzfäustlinge. Ich bin daran gewöhnt.«
»Großmaul.«
Sein Grübchen blitzte auf. »Mannweib.«
Ermutigt von seiner guten Laune hatte ich gerade den Mund geöffnet, um noch eine Beleidigung loszulassen, da hörten wir hinter uns ein schlurfendes Geräusch. Wie durch einen Zauber erschien meine Axt in meiner Hand. Arian zog ein langes Messer aus der Scheide um seinen Schenkel.
Wir ließen uns beide erleichtert zurücksacken, als eine Bergwächterin mit ernster Miene über die Felsbrocken in unser Versteck kletterte. »Zwei Minuten«, sagte sie leise. »Macht euch bereit.«
»Sind alle an ihrem Platz?«, bellte Arian.
»Ja, Leut– Ja, Arian.« Arian mochte zwar kein Leutnant mehr sein, doch niemand hatte sich bisher so richtig daran gewöhnt. Nicht einmal Arian selbst.
»Danke«, sagte ich.
Sie nickte und verschwand wieder. »Die Urmutter segne euch.«
Die Spannung, die wir mit unseren Gekabbel hatten auflösen wollen, füllte die Leere, die die Wächterin hinterließ.
»Die Außenmauer stürmen, in den Hof rennen«, murmelte ich und schob meine Axt wieder in ihre Hülle. »Bei den anderen bleiben. Gelände sichern.«
Arian packte meine Hände und schob sie unter meine Beine. »Denk einfach dran, deine wichtigste Aufgabe ist, für deine Sicherheit zu sorgen. Du kannst weder Luca noch sonst jemand helfen, wenn du …« Er brach ab und schluckte. »Wenn du tot bist. Fang heute keine Kämpfe an, die du nicht gewinnen kannst. Verstanden?«
»Dasselbe gilt für dich«, gab ich zurück und ignorierte das nervöse Rumoren in meinem Magen. »Wenn ich dich bei irgendwelchen Versuchen erwische, dich tapfer zu opfern, schlag ich dir den Schädel ein.«
Arian ließ ein kurzes, schnaubendes Lachen hören. »Verstanden.«
Als über uns Licht aufflammte, gingen wir beide auf die Knie und beobachteten, wie der Feuerpunkt am dunklen Himmel einen Bogen beschrieb und die Außenmauer der Tempelfestung erleuchtete. Im Sturzflug des Lichts konnte ich jedes Detail der Mauer erkennen, die Formen der Steinquader, die kunstvollen Muster der dünnen Bergschlingpflanzen auf dem Mauerwerk, die kleine Holzpantine, die herrenlos neben der Einfahrt herumlag.
Mit einem Klirren von splitterndem Glas krachte das Licht in die Palisade und hinterließ einen schwarzen Fleck auf dem Holz, das augenblicklich Feuer fing. Ein zweites Licht flog, dann ein drittes, alle trafen den Abschnitt der Holzpalisaden. Es waren mit Pech gefüllte Glasflaschen, in deren Hals brennende Lappen steckten.
Das Feuer breitete sich schnell aus, rote Flammen
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