Frostblüte (German Edition)
den Rahmen der offenen Tür. Rings um ihn strömte warmes Sonnenlicht herein. »Mala, ich werde noch heute in Mesgao nach einem Ältesten und einem Namoa schicken lassen, damit sie so schnell wie möglich herkommen«, sagte er. »Du wirst vom Königshaus Witwengeld bekommen. Es ist kein Vermögen, aber es wird helfen.«
Bei dem Wort »Witwe« zuckte Mala zusammen. Sie nickte stumm und ohne aufzublicken.
»Danke«, sagte einer der Zwillinge an ihrer Stelle. Er sah mich mit ernsten Augen an. »Und dir auch vielen Dank. Hauptmann Luca hat uns erzählt, dass du diejenige warst, die meinen Vater und Abhay gefunden hat, und dass du es warst, die gemerkt hat, dass Mutter und Crina verschleppt worden sind. Ohne dich wären sie tot. Wir können es dir nicht vergelten, aber wir werden niemals vergessen, was du getan hast.«
Ich blickte hilflos zu Luca, doch die Sonne war zu grell. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Warum hatte er ihnen das erzählt? Gerade er wusste doch, dass ich keine Heldin war.
»Wie heißt du?«, fragte Crina und regte sich plötzlich in den sie einhüllenden Falten der Decke. »Wir müssen dich in unsere abendlichen Gebete aufnehmen. Es ist das Mindeste, was wir tun können, nachdem du – nachdem du so gut zu uns warst.«
Ich zögerte, denn ich spürte Lucas Aufmerksamkeit wie ein schweres Gewicht in meinem Nacken.
»Frost«, sagte ich schließlich. »Ich heiße Frost Aeskaar.«
»Lauf nicht davon, Tochter.«
Ihre Stimmen – ein Dutzend Varianten der Stimme meines Vaters – sind bekümmert. Ich stolpere durch den Schnee und halte mir die Ohren zu. Es lässt mich langsamer vorankommen und es blendet das Wolfsgeheul nicht aus, aber mehr kann ich nicht tun.
»Lauf nicht davon. Wir wollen dir bloß helfen.«
»Lasst mich in Frieden«, schreie ich, meine Stimme ist schrill und zittert. »Ihr seid nicht mein Vater.«
»Tochter«, heulen die Wölfe. »Warte auf uns.«
Doch es ist eine Lüge. Wenn sie mich fangen, werden sie mich mit Haut und Haaren verschlingen.
Ich bohre meine blasenbedeckten Zehen in den Schnee und laufe schneller.
Neun
Ich zitterte vor Kälte. Mein eigener Atem nahm mir fast die Sicht: silbrig weiß wie ein Sternbild breitete er sich vor meinen Augen aus. Ich hörte kaum, wie der Älteste Gallen mit den Priestern stritt.
»Wir können einen Scheiterhaufen am Waldrand errichten«, bettelte er. »Ein ganzes Gebäude mitten im Dorf niederzubrennen ist zu gefährlich.«
»Einem dämonenbesessenen Mädchen zu erlauben, die Scheune zu verlassen und andere auf ihrem Weg in den Tod anzustecken, ist viel gefährlicher«, erwiderte der Priester des Anderen ruhig.
»Aber – es ist meine Scheune! Die Kosten, sie wieder aufzubauen –«
»Sind ein geringer Preis für die Sicherheit deiner Gemeinde«, sagte der Priester von Askaan. »Bei meinem Barte, Mann! Du hast ein Ungeheuer an diesem Ort beherbergt! Wie kannst du nun daran denken, Vieh hier einzusperren? Es würde krank werden. Das Fleisch würde sich schwarz färben, die Milch zu Gift werden!«
Das ließ den Ältesten schweigen. Niemand brachte mehr irgendwelche Einwände vor. Die Schreie meiner Mutter waren in der Ferne verstummt. Jemand hatte sie weggezerrt. Vermutlich Eilik.
Schritte eilten an der Scheune vorbei. Ich stellte mir vor, wie die Dorfbewohner in ihre Häuser zurückhasteten. Ich stellte mir die Menschen vor, die ich mein ganzes Leben gekannt hatte – die Gesichter, denen ich jeden Tag zugelächelt oder zugenickt hatte –, wie sie sich überstürzt in ihren Häusern verbarrikadierten. Ich stellte mir vor, wie sie sich von den Fenstern wegdrehten und sich die Ohren zuhielten, um den Sprechgesang der Priester nicht zu hören.
Wenn ich mir doch bloß auch die Ohren hätte zuhalten können. Doch die Fesseln verhinderten es. Die Stimmen der Männer hallten feierlich und ernst wider, als sie die Scheune umrundeten. Ich stellte mir vor, wie der Priester des Anderen sein trauriges Lächeln lächelte, und schauderte noch mehr. Mein Zittern ließ die Ketten klirren. Mit der Zeit verebbten die Stimmen.
Kurz darauf sah ich die Flammen. Der Rauch stieg zum Dach auf, wo er sich wie ein lebendiges Geschöpf kräuselte und wand. Hustend und würgend rang ich nach Luft. Feuer züngelte mit langen roten Flammen die Wände hinauf. Hitze schlug gegen meine Haut, doch sie wärmte mich nicht. Mir war so kalt; bestimmt würde mich das Eis vor dem Feuer töten. Darüber war ich froh.
Hinter mir krachte es. Mein Körper, der
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