Frostblüte (German Edition)
schaffen.
Eine halbe Stunde später stand ich bis zur Taille im Wasser und sah zu, wie sich der Seifenschaum vom Felsstaub grau färbte und davongespült wurde. Zwei andere Frauen wuschen sich in der Nähe – sie lächelten mir freundlich zu, was ich abwesend erwiderte. Ich war nicht in der Stimmung zu reden, trotzdem war es ein schönes Gefühl zu wissen, dass es möglich gewesen wäre. Ich ging unter Wasser, um mir die Haare auszuspülen, und tauchte genau in dem Moment auf, als ein gellendes Pfeifen ertönte. Drei kurze Töne. Die anderen Frauen wateten eilig ans Ufer.
»Was bedeutet das?«, rief ich.
»Es ist ein Warnsignal der Wachposten«, rief eine von ihnen. »Eine große Gruppe Unbekannter nähert sich.«
Das Wasser spritzte, als ich ihnen folgte. Wir erreichten alle drei gleichzeitig das Ufer und rannten zu unseren trockenen Kleidern. Ich zerrte meine Hosen hoch, während die anderen Frauen mit den ihren kämpften.
»Die Aufrührer?«, fragte ich atemlos und zwängte meine feuchten Füße in die Stiefel. Ich wartete die Antwort nicht ab, sondern zog mein Lederwams über, schnappte mir den Holzeimer, den jemand dort hatte stehen lassen – keine perfekte Waffe, aber besser als nichts –, und stürzte die Böschung hoch.
Ich rannte an den Holzschuppen und dem Verpflegungszelt vorbei. Die anderen Bergwächter schnappten sich ihre Waffen und Rüstungen. Das hätte ich auch tun sollen, doch zuerst musste ich Luca finden. Wenn das Lager angegriffen würde, wäre er in der ersten Reihe, um die Wächter mit Arian an seiner Seite in den Kampf zu führen. Und die Kämpfer in der ersten Reihe starben auch als Erste.
»Entwarnung! Zurücktreten! Zurücktreten!«
Das war Lucas Stimme. Ich blieb abrupt stehen. Rings um uns war erleichtertes Aufseufzen zu hören und das weiche Gleiten und leise Klacken von Schwertern, die in die Scheide zurückgeschoben wurden.
Luca begleitete eine Truppe von Männern und Frauen ins Lager zurück – Rua und Sedrier. Einige von ihnen waren zu Fuß, andere führten Pferde mit ausladenden Satteltaschen. Sie trugen einfache, robuste Kleidung und waren von der Reise staubbedeckt. Ich hatte sie noch nie in meinem Leben gesehen, doch irgendwie wirkten sie vertraut, fröhlich und Respekt einflößend zugleich.
Die Männer und Frauen der Berggarde rannten auf die Neuankömmlinge zu, um sie zu begrüßen. Sie riefen die Namen der Fremden und umarmten sie wie verloren geglaubte Freunde.
Lucas Verstärkung war endlich eingetroffen.
Achtzehn
Wenn ich mich so umsah, schlossen sich mindestens fünfzig neue Soldaten und Soldatinnen der Berggarde an. Unsere Truppenstärke wurde um ein ganzes Drittel aufgestockt. Luca war sicher überglücklich. Auf jeden Fall sah er so aus. Er stand lachend und grinsend inmitten der Gruppe von Neuankömmlingen. Ich fühlte das vertraute warme Ziehen in meiner Brust, es war eine Reaktion, über die ich keine Kontrolle zu haben schien. Ich öffnete den Mund, um ihm etwas zuzurufen – und erstarrte, als ich sah, wie er eine Frau umarmte.
Sie war klein und dunkelhäutig, eine Tätowierung bedeckte fast die ganze linke Hälfte ihres Gesichts; ihre Haare waren in unzählige Zickzackreihen geflochten. Ein breites, wunderschönes Lächeln ließ ihr Gesicht strahlen, als sie sich aus Lucas Umarmung löste und sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihn fest auf den Mund zu küssen.
Der Holzeimer fiel mir aus den Händen. Ich starrte auf den Boden, meine Brust schnürte sich in kaum erträglicher Weise zusammen. Ich drehte mich weg und wollte davonlaufen. Doch bevor ich einen Schritt machen konnte, rief Luca meinen Namen.
Ich versuchte ein unbeteiligtes, ausdrucksloses Gesicht aufzusetzen. Kiesel. Kiesel. Als ich aufblickte, sah ich ihn, den Arm um die Schulter der dunkelhäutigen Frau gelegt, auf mich zukommen. Mir fielen Momente ein, in denen er mich genauso gehalten hatte, und wie ich mich dabei gefühlt hatte. Fühlte sie nun dasselbe? Wie sah es mit ihm aus? Als sie ihn geküsst hatte, war er nicht zurückgezuckt.
Natürlich nicht. Sie war keine Verbannte, keine heimatlose Wanderin, kein zerlumptes Überbleibsel, das er aus Mitleid aufgelesen hatte. Sie war schön.
Bitte, ach, bitte, Vater, sorg dafür, dass man keinen dieser Gedanken von meinem Gesicht ablesen kann.
»Frost, das ist Hind«, sagte Luca. Der glückliche Unterton in seiner Stimme traf mich wie der Tritt eines Maultiers. »Sie ist die Anführerin dieses bunt zusammengewürfelten Haufens, den
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