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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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schmiegte mich in seine Berührung.
    »Was ist passiert?«
    »Meine Mutter wartete auf seine Rückkehr. Drei Tage lang wartete sie. In der Nacht des dritten Tages kam ein schrecklicher Sturm auf. Es fielen Schneeflocken so groß wie die Hand eines Mannes, ein tobender Wind ließ die Wände zittern. Im Sturm hörte meine Mutter einen Wolf heulen – das Geheul war so schrecklich, dass sie sich die Hände auf die Ohren presste, um es nicht hören zu müssen – und da wusste sie, dass mein Vater tot war. Sie wusste es, erzählte sie mir, als hätte sie in dem Wolfsheulen Worte ausmachen können. Und genau in diesem Moment setzen die Wehen ein. Die ganze Nacht lag sie während des Schneesturms allein in den Wehen, und als ich geboren wurde …« Ich hielt inne. Das war der schlimmste Teil.
    »Als du geboren wurdest?«, half Luca.
    »Hatte sich die Nabelschnur um meinen Hals gewickelt. Ich war tot.« Ich hörte, wie Luca scharf Luft holte. Ich sah ihn nicht an. »Meine Mutter war bei vielen Geburten dabei gewesen. Sie wusste, dass sie nichts für mich tun konnte. Doch als sie ihr einziges Kind blau und verschrumpelt und reglos daliegen sah, verfluchte sie den Gott Askaan. Sie verfluchte ihn dafür, dass er ihren Ehemann hatte sterben lassen. Sie verfluchte ihn dafür, dass er sich ihr Kind nahm, bevor es den ersten Atemzug gemacht hatte. Sie rief den Gott des Anderen und flehte ihn an, er möge das Kind – mich – als seines betrachten, wenn er mich nur atmen lassen würde. Wenn ich bloß leben würde.«
    »Sie hat dich dem Wolf angeboten?«
    »Ja.« Ich lächelte bitter. »Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was sie in diesem Moment gefühlt haben muss. So viel Trauer und Schmerz, so viel Verlust. Sie wollte bloß, was jede Mutter gewollt hätte – ihr Kind retten. Es war Wahnsinn … Doch irgendwie funktionierte es. Der Wind rings um das Haus wurde so stark, dass sie nichts mehr hören konnte, die Fenster und Türen flogen auf und es schneite in das Zimmer, in dem sie lag, bis sie nichts mehr sehen konnte. Dann war da ein bösartiges Knurren, so nah, wie du mir jetzt bist, und plötzlich wurde ihr das Kind aus den Armen gerissen. Und dann … hörte sie ein Kind weinen. Der Sturm beruhigte sich so schnell, wie er aufgekommen war, und ich lag mitten im Schnee. Lebend.«
    Ich berührte die weiße Stelle auf meinem Gesicht. »An mir war Blut – frisches rotes Blut, es sah wie eine Wunde aus. Doch nachdem meine Mutter das Blut abgewaschen hatte, war da keine Wunde, nur diese Narbe. Am Morgen brachten die Bewohner der Stadt die Leiche meines Vaters und den Kadaver des Dämonenwolfes in unser Haus. Sie waren untrennbar ineinander verschlungen, der Wolf hatte die Zähne in den Hals meines Vaters geschlagen, die Axt meines Vaters steckte in der Flanke des Wolfs. Sie mussten sie auseinanderschneiden – es sah aus, als hätte der Tod sie zu einem Geschöpf gemacht. So wurde ich, was ich bin. Meine Mutter schloss einen Handel mit der Dunkelheit ab, um mich zu retten, und sie bezahlte einen hohen Preis dafür.«
    »Nicht so hoch wie du«, sagte Luca ernst. Er fuhr vorsichtig mit einem Finger über das Zeichen auf meiner Wange.
    »Ich kann die Zahnspuren erkennen, sie sind wie kleine Eiskristalle.«
    »Das ist noch nicht das Ende der G-Geschichte.« Ich spürte, wie sich meine Muskeln zu harten, knotigen Strängen verkrampften, während ich darauf wartete, dass Luca die Bedeutung meiner Worte begreifen würde, dass ihm klar würde, was ich wirklich war, und dass er mich von sich stoßen würde, wie es meine Mutter getan hatte.
    »Ma verließ die Stadt, in der ich zur Welt gekommen war, und ließ sich in einem weit entfernten Dorf nieder. Sie beobachtete mich unablässig, hielt nach Anzeichen des Wolfes in mir Ausschau und betete, der Fluch, den sie herbeigerufen hatte, möge doch nicht zuschlagen. Als ich acht war, fanden es ein paar Dorfjungen lustig, mich zu ärgern. Sie warfen Steine nach mir. Einer davon verletzte mich vermutlich im Gesicht, ich weiß es nicht sicher … Egal, ich sah jedenfalls B-Blut. Der Wolf kam. Die Dorfbewohner mussten mich zurückreißen und in Ketten legen, um mich aufzuhalten. Es waren bloß Kinder, aber ich habe sie fast umgebracht.«
    »Du warst auch ein Kind«, sagte Luca. »Als sie dich mit Steinen bewarfen, hätten sie dich auch ernsthaft verletzen können. Mir scheint, der Wolf – was immer er ist – ist eine Art Beschützer für dich. Er wendet Schaden von dir ab.«
    »Da

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