Frostblüte (German Edition)
Händen in Stein verwandelt. Ich drehte mich in seinen Armen und umschlang ihn, rieb ihm über den Rücken, wie er es immer bei mir tat, wenn ich durcheinander oder verletzt war. Er zog die Knie an, so dass seine Beine mich zu beiden Seiten umschlossen, und schmiegte seinen Kopf an meinen, als wolle er mich umhüllen oder sich in mir verlieren.
»Deshalb hast du die Berggarde ins Leben gerufen«, flüsterte ich.
»Als der König sie ankündigte, nahm ich die Gelegenheit, ihr Anführer zu werden, nur allzu gern wahr. Es kam mir wie Schicksal vor. Zu wissen, dass Ion hier in den Bergen lauerte, frei war und noch immer Jagd auf Menschen machte … das war unerträglich. Ich dachte, als Hauptmann könnte ich endlich Ions Taten wiedergutmachen, ihn vor den König bringen, vor Gericht. Ich habe es mir so oft vorgestellt. Wie er wohl mittlerweile aussieht, wie er reagieren wird, wenn er mich sieht. Ob es ihm leidtun wird.« Luca schüttelte den Kopf und drückte mich heftig an sich. »Worauf ich hinauswill: Ich weiß, wie das Böse unter der Oberfläche aussieht. Gleichgültig, wie schön das Äußere ist, wie gekonnt die Lügen sind, ich mache mir nichts vor, nicht mehr. Du schleppst eine schreckliche Bürde mit dir herum, die niemand – auch ich nicht – wirklich verstehen kann. Aber das ändert nichts an dem, wer du bist, Frost. Du bist ein guter Mensch. Und ich liebe dich.«
»Ich würde so gern …« Meine Stimme versagte. »Ich würde das so gern glauben.«
Luca strich mir wieder die wirren Strähnen aus dem Gesicht und blickte mir in die Augen. »Es ist mir egal. Ich werde es dir so lange sagen, bis du es glaubst.«
Manchmal, wenn ich weglaufe, frage ich mich, warum ich nicht aufgebe. Warum ich nicht tue, wozu mich die Wölfe drängen. Mich in den Schnee lege. Ihnen ihren Willen lasse. Die Jagd wäre dann vorbei und ich könnte mich endlich ausruhen.
Aber ich kann nicht. Meine schmerzenden Arme und Beine, mein wild pochendes Herz, meine keuchenden Lungen lassen es nicht zu. Denn ich weiß, es gibt Schlimmeres als den Tod. Wenn die Wölfe mich erwischen, werden sie sich mehr nehmen als Fleisch und Knochen.
Sie werden mir meine Seele nehmen.
Zwanzig
Ich öffnete die Augen in der Dunkelheit. Ich lag auf Lucas Bett, auf den Decken, auf denen ich eingeschlafen war, als Luca und ich schließlich aufgehört hatten zu reden, irgendwann nach Mitternacht. Sein Gesicht war ein bleicher Fleck im Schatten neben mir. Seine Augen waren geschlossen und er atmete friedlich. Das Geräusch war vertraut für mich. Ich hatte die letzten sechs Wochen jede Nacht darauf gelauscht. In dieser Nacht erinnerte es mich nur einmal mehr daran, wie verletzlich Luca war, selbst wenn er sich dessen nicht bewusst war. Panik, vom Traum geschürt, umklammerte mein Herz.
Was, wenn ich ihn nicht schützen kann, Vater? Was, wenn ich ihn nicht vor mir schützen kann?
Der geschlossene Raum des Zeltes – die Stille und die Schatten – waren erstickend. Selbst Lucas Hand, die schützend um meinen Oberkörper lag, fühlte sich wie ein zu schweres Gewicht an. Ich ertrug sie nicht. Es forderte meine ganze Selbstbeherrschung, mich unter Lucas Hand herauszuwinden, statt mich heftig von ihm loszureißen. Trotzdem knarrte das Bett und Luca murmelte leise.
Ich betrachtete ihn einen Augenblick, rang nach Luft und versuchte meine widersprüchlichen Gefühle zu ordnen. In meinem Hinterkopf meldete sich die Vorsicht und warnte mich, dass etwas nicht stimmte, doch ich konnte diese Warnung nicht beherzigen. Ich konnte nicht atmen. Ich musste ins Freie. Ich musste weg. Auf der Stelle.
Draußen war Wind aufgekommen, er verfing sich in den Zeltwänden, ermunterte die Bäume zu zischelnden geheimen Gesprächen. Mein Hemd flatterte mir um die Taille und mein offenes Haar wehte mir ins Gesicht. Am Himmel trieben Silberwolken. Sie bildeten seltsame Formen, wenn sie vor den Sternen auseinanderrissen und wieder zusammenfanden. Das große Feuer war erloschen. Das Singen und Feiern war beendet und das Lager wirkte ausgestorben.
Ich zögerte erneut, irgendetwas beunruhigte mich. Doch etwas anderes zog mich weiter, fort von Lucas Zelt, zu den dunklen Schatten des Waldes. Wild umherpeitschende Zweige schlossen sich über meinem Kopf. Blätter tanzten in der Luft und wehten an meinem Gesicht vorbei. Vor mir teilten sich Bäume und Gebüsch zu einem schmalen, flüsternden Tunnel.
Nach einer Weile schimmerte Licht zwischen den Bäumen hindurch. Ich fühlte leichte, kalte
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