Frostblüte (German Edition)
Nachricht. Allerdings wird Constantin, sobald ihm bewusst wird, dass seine umherstreifenden Kriegerhorden überwältigt wurden, höchstwahrscheinlich mehr von ihnen aussenden. Und auch wenn es ihn jedes Mal schwächt, wenn wir eine dieser Banden aufgreifen, können wir nicht länger unsere ganze Aufmerksamkeit auf sie richten. Unser vornehmlichstes Ziel war immer, die Rädelsführer der Aufständischen aufzuspüren und gefangen zu nehmen und sie vor Gericht zu stellen, vor allem Constantin. Und genau das sollten wir nun tun, finde ich.«
Es war verhaltenes Jubeln zu hören. Luca wartete, bis jeder seinen Gefühlen Luft gemacht hatte, bevor er wieder zu Ruhe winkte. »Es gilt mehrere Hürden zu überwinden. Wir haben noch immer keine konkrete Vorstellung von der Truppenstärke der Feinde oder ihrem Waffenarsenal. Die Männer, die wir festgenommen haben, trugen nur das bei sich, was sie im Kampf erbeutet hatten, aber das muss nicht heißen, dass Constantin in seinem Stützpunkt keine wesentlich bessere Ausrüstung hat – oder schmiedet. Wir brauchen unbedingt mehr Informationen. Wir müssen das Lager hier abschlagen und ins Feindesgebiet vordringen. Wir müssen jede Höhle, jede Felsspalte und jedes Versteck aufspüren, das sie nutzen könnten. Da sie diesen Ort mittlerweile wahrscheinlich wie ihre Westentasche kennen, sollten wir das auch tun. Danach werden wir einen ausgefeilten Plan erarbeiten, der sie von Nachschub und Quellen abschneiden und aus der Tempelfestung auf einen Kampfplatz unserer Wahl treiben wird. Denkt daran, der Feind ist dort oben in der besseren Position und hat einen sicheren Rückzugsort. Jeder Versuch eines Frontalangriffs zu ihren Bedingungen wäre Selbstmord. Wir müssen auf unsere Stärken setzen, schneller, schlauer und skrupelloser sein als sie, andernfalls haben wir keine Chance zu gewinnen.«
Luca warf einen langen Blick durch das Zelt und schien seine Soldaten einzuschätzen. Seine Augen waren warm und strahlten vor Überzeugung. »Ich weiß, dass ich mich auf jeden von euch verlassen kann.«
Ich spürte die Reaktion, das Gefühl des Stolzes und der Entschlossenheit, die sein Blick ausgelöst hatte. Einen Augenblick später trat er zur Seite und deutete auf die Karten. »Arian hat sämtliche Kundschafterberichte ausgewertet und wird euch mehr zum Stand der Dinge sagen.«
Meine Aufmerksamkeit ließ nach, als Arian sich erhob und auf Einzelheiten und Örtlichkeiten auf den Karten deutete. Ich hatte diese Berichte schon früher, über Lucas Schulter hinweg, gelesen und die Karten selbst studiert.
Ich war nun eine Bergwächterin. Eine richtige Kämpferin. Ich würde unter Lucas Befehl in den Krieg ziehen. Das Ergebnis dieses Kampfes bedeutete jedem hier etwas, für Luca bedeutete es alles. Er war bereit, mich mitten hineinzustellen, weil er an mich glaubte.
Ich hatte tödliche Angst, dass er sich täuschte.
Bitte, Vater. Lass mich die Soldatin, die Kämpferin sein, die er braucht.
Bitte halte den Wolf gefangen.
Die Küsse und Bekenntnisse der letzten Nacht erschienen mir wie ein Traum, weniger wirklich als die entsetzliche Vision danach. Doch wann immer Lucas Blick auf mir ruhte, wurde mir – mit einer Mischung aus Angst und Freude – von neuem klar, dass ich geliebt wurde. Wirklich geliebt wurde, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben. Ich hatte nicht das Gefühl, Luca oder seine Gefühle verdient zu haben. Trotzdem flackerte nun tief in mir – dort, wo früher immer nur Eis gewesen war – eine Wärme, die nicht einmal die Angst berühren konnte.
Du wirst mich rufen, so, wie es deine Mutter getan hat.
Niemals, schwor ich mir. Niemals.
Sobald es hell genug war, brachen wir das Lager ab, falteten die Zelte zusammen, beluden die Pferde und verriegelten die Holzschuppen, die wir zurücklassen würden. Ich verabschiedete mich mit Wehmut von dem Ort, den ich als mein Zuhause zu betrachten gelernt hatte.
Es war ein schwieriger Marsch den Berg hinauf. Je höher wir kamen, umso unwirtlicher wurde das Gelände. Grüne Bäume machten verkümmertem grauem Gestrüpp Platz, Gestrüpp wich blauem Moos und orangefarbenen Flechten, bis es schließlich kaum noch Pflanzenwuchs gab. Ich war schon einmal dort oben gewesen, doch damals war ich schwach vor Hunger und Verzweiflung gewesen und hatte nur wenig wahrgenommen. Ich hatte die Kälte vergessen. Obwohl die Ruinen der Tempelfestung nicht in der Nähe der schneebedeckten oberen Berghänge lagen, wurde es nach einem halben Tagesmarsch
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