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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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Berührungen auf meinen Wangen und Händen. Sie hinterließen Tränenspuren auf meiner Haut. Nun fielen keine Blätter mehr, sondern Schneeflocken. Mein stockender Atem bildete Wolken aus Panik vor meinem Gesicht. Trotzdem konnte ich nicht stehen bleiben oder umkehren. Welche Kraft mich auch aus Lucas Bett gelockt hatte, sie hatte mich nun im Griff und meine Beine bewegten sich ohne mein Zutun.
    Ich ließ den letzten Baum hinter mir und starrte über eine große Schneefläche, die von einem wolkenlosen, strahlenden Sternenhimmel erleuchtet wurde. Am Rande der Ebene, so weit entfernt, dass ich sie kaum erkennen konnte, erhoben sich durchsichtige Klippen aus dem Schnee, und dahinter die zerklüfteten Umrisse der Berge.
    Ein tiefes Knurren zerriss die Nacht. Gegen meinen Willen drehte ich mich um.
    Wie Zwillingssterne leuchteten die Silberaugen im riesigen Schädel des schwarzen Wolfes. Seine Fangzähne schimmerten, dazwischen hing die rötliche Zunge heraus. Aus seinem Maul und seinen Nasenlöchern trat Dampf, genau wie an den Stellen, wo er mit seinen gewaltigen Klauen im Schnee stand.
    Ich zwang die Worte über meine tauben Lippen. »Warum hast du mich hierhergebracht?«
    Das habe ich nicht. Ich bin dir gefolgt. Ich bin dir immer gefolgt.
    Die Stimme des Geschöpfs war das eifrige freudige Heulen eines Jagdrudels, es war das Geräusch, das mich mein halbes Leben im Traum verfolgt hatte. Es war der verzweifelte Schrei des einsamen Wolfes. Es klang nach brechendem Eis, Rabenkrähenkrächzen und dem letzten Flüstern sterbender Männer. Und es war die Stimme meines Vaters, die Stimme, die ich immer als seine gekannt hatte, auch wenn er vor meiner Geburt gestorben war. Der Klang war eine Qual für meine Ohren. Ich zuckte zurück und schrie auf. »Was willst du?«
    Das weißt du doch. Du hast all die Jahre gegen mich gekämpft, doch das muss bald aufhören, Saram. Bald wird ein Sturm aufkommen. Dann wirst du mich brauchen.
    »Das werde ich nicht. Bitte. Ich will einfach nur normal sein.«
    Wärst du normal, wärst du schon längst tot.
    »I-ich weiß. Aber … ich habe den Handel nicht abgeschlossen. Meine Mutter war diejenige, die dich gerufen hat, und sie ist nun tot. Warum lässt du mich nicht in Frieden?«
    Du bist meine Tochter und ich liebe dich. Wie kann ein Vater sein Kind im Stich lassen?
    Ich presste mir die Hände auf die Ohren und fing an zu rennen. Die Stimme schien noch trauriger zu werden, als sie mir hinterherrief.
    Bald, meine Tochter. Bald wirst du mich herbeirufen, so, wie deine Mutter es getan hat. Und ich werde kommen.
    Das Eis knackte und knirschte unter meinen Füßen, als ich floh – noch immer die Hände auf den Ohren, während mir Tränen übers Gesicht liefen. Ich weiß nicht, wann wieder Bäume vor mir auftauchten, doch irgendwie rannte ich zwischen ihnen hindurch und der Wind war wieder da, mit kräftigen Böen wirbelte er um mich. Ich stolperte aus dem Wald …
    Und öffnete die Augen in der stillen Dunkelheit von Lucas Zelt und lag warm und sicher in seinen Armen.
    Die Bergwächter standen am nächsten Tag vor dem Morgengrauen auf. Übernächtigt und einsilbig nach der wilden Feier stocherten sie lustlos im Frühstück herum, während Luca und Arian ihnen kurz das weitere Vorgehen erläuterten. Ich saß mit Livia in der Ecke des Verpflegungszeltes und starrte teilnahmslos auf mein eigenes Essenstablett. Bei mir lag es nicht an zu viel Bier, sondern am Grübeln. Der Traum der letzten Nacht lag mir wie ein Stein im Magen.
    »Also gut, hört alle zu.« Luca hielt die Hand hoch, um für Ruhe zu sorgen. Hinter ihm waren ein Dutzend Vellum- und Pergamentkarten an der Zeltwand befestigt. »Diejenigen unter euch, die sich uns gerade erst angeschlossen haben oder die eine Zeit lang als Kundschafter oder Boten unterwegs gewesen sind, sollten besonders gut aufpassen. Wir wissen Folgendes: Der ständige Stützpunkt unseres Feindes befindet sich in den Ruinen der Tempelfestung. Möglicherweise halten sie sich schon seit ihrer Ankunft in den Bergen dort auf, sie scheinen jedenfalls den eingestürzten Abschnitt der Außenmauer wieder verstärkt und wirksame Abwehrmaßnahmen errichtet zu haben. Das ist schlecht. Je mehr sie sich verschanzen, umso schwerer wird es sein, sie dort wieder rauszuholen.
    Immerhin glauben wir, dass die Splittergruppe, die Birkin angeführt hat« – er warf mir ein kurzes Lächeln zu – »die letzte war, die sich in den Bergen herumgetrieben hat. Das ist schon mal eine gute

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