Frostblüte (German Edition)
Schatten des Waldes tief unten zu zeigen. »Wir sind um den Berg herumgelaufen, siehst du? Wo wir vorher klettern mussten, um zu den Ruinen zu kommen, brauchen wir jetzt nur hinabzusteigen. Das wird es schwieriger machen, den Aufrührern den Nachschub abzuschneiden – wir werden mehr Kundschafter aussenden müssen –, doch es wird Constantin hoffentlich unvorbereitet treffen.«
»Du kennst den Weg in- und auswendig, oder?«
»Ich habe die Karten oft genug angestarrt. Als ich klein war, habe ich meiner Familie immer erzählt, dass ich diese Berge eines Tages erkunden würde. Sie haben mich ausgelacht. Aber hier bin ich nun.«
Ich sah ihn fragend an, plötzlich war es mir sehr wichtig, seinen Gesichtsausdruck richtig zu deuten. »Sie wären bestimmt stolz auf dich, dass du dich auf diese Weise an deinen Traum erinnerst.«
Luca antwortete nicht gleich. Dann seufzte er. »Meine Eltern waren großartige Menschen. Sie waren nicht wie so viele andere Sedrier, die nach der Besetzung hierherkamen, nur um zu kämpfen und zu stehlen. Sie waren friedlich und voller Mitgefühl und sie haben sich die größte Mühe gegeben, den Rua zu helfen und einen Teil des Schadens gutzumachen, den Abheron angerichtet hatte. Sie bauten Schulen und Krankenstationen, besuchten die Höfe und Dörfer auf ihrem Land und brachten Heiler und Vorräte. Sie schlossen Freundschaften, wo immer sie hingingen, selbst mit denjenigen, die die Sedrier hassten. Ich glaube, ich bin nicht das geworden, was sie erwartet haben. Sie wollten immer, dass ich in ihre Fußstapfen trete – dass ich den Titel Lord Mesgao annehme und es mir zur Aufgabe mache, den Menschen zu helfen, sich ein Leben aufzubauen.«
»Aber du hilfst Menschen. Du rettest ständig Leben«, sagte ich überrascht.
»Aber ich bin kein Mann des Friedens, oder?« Er hob die Hand, die entspannt auf dem Schwertgriff geruht hatte. »Ich bin ein Krieger. Das war das Letzte, was sie sich für mich gewünscht hätten.«
Ich überlegte gründlich, bevor ich sprach. »Das ist ja nicht für immer. Eines Tages hast du dich von Ion und der Vergangenheit befreit. Wenn du deine Aufgabe hier erledigt hast, liegt immer noch dein ganzes Leben vor dir, das du nach deinen Wünschen gestalten kannst. Was wirst du dann tun?«
Luca ließ ein seltsames kleines Lachen hören. »Weißt du, darüber habe ich mir nie richtig Gedanken gemacht. Ich jage seinen Schatten seit so langer Zeit –«
Er redete nicht weiter, sondern drehte abrupt den Kopf. Ich hörte Steine den Abhang herabstürzen; als ich Lucas Blick folgte, sah ich zwischen den Felsen über uns eine Staubwolke.
Mein Körper wurde eiskalt. Jedes Härchen auf meiner Haut stellte sich auf. Ich blickte Luca für einen Moment, der sich wie eine Stunde anfühlte, in die Augen und sah, wie seine Lippen das Wort formten. »Hinterhalt!«
Man hörte einen Schrei von den Felsen und dann war die Luft voller Pfeile.
Als ich in der ersten Reihe der Bergwächter zwei Männer fallen sah, warf ich mich gegen Luca und stieß ihn von dem Felsbrocken. Er landete mit einem Aufstöhnen unter mir auf der Erde, dann rollte er sich auf mich, um meinen Körper mit seinem zu schützen. Ein Pfeil zischte vorbei und bohrte sich nur wenige Zentimeter neben Lucas Gesicht in die Erde.
Die Pfeile trafen mit einem Geräusch wie Hagelkörner auf dem Pfad auf, fast übertönten sie das Trampeln der Füße, das Geschrei, das Klirren der Waffen.
»Schnell! Steh auf!«, schrie ich und versuchte ihn von mir wegzustoßen. Sein Rücken wäre die perfekte Zielscheibe für die Bogenschützen.
Er sprang auf die Füße und packte mich vorn an meinem Wams, um mich mit sich zu ziehen. Der Feind war hinter den Felsen oberhalb des Pfads hervorgekommen und schoss in die Menge. Unsere Soldaten ließen ihre Bündel und ihr Gepäck fallen und stürzten sich kopfüber in den Kampf. Die Pferde schlugen aus und wieherten, als sie versuchten dem Schlachtengetümmel zu entkommen. Staubwolken hüllten die Kämpfenden ein. Überall herrschte Chaos.
»Heilige Urmutter«, flüsterte Luca. Er rannte vorwärts.
Ein Angreifer in zerbeulter Rüstung sprang direkt hinter ihm von den Felsen. Der Aufständische hieb mit dem Schwert nach Lucas Rücken.
Ein zorniges Aufheulen brach aus meiner Kehle. Mit einem Griff zog ich die Axt meines Vaters aus ihrer Hülle und holte mit der Waffe zu einem Seitenhieb auf den Hals des Abtrünnigen aus. Heißes Blut spritzte mir ins Gesicht. Als der Mann zu Boden stürzte, riss
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