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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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Hände zitterten. Bevor ich reagieren konnte, war er schon um mich herumgegangen und schloss die Haustür mit dem Schlüssel ab, der innen steckte. Panik erfasste mich. Was zum Teufel sollte das? Warum sperrte er die Eingangstür zu?
    »Es tut mir leid, Theresa.«
    Alarmglocken schrillten in meinem Kopf. Mein Puls ging plötzlich schneller. Ich versuchte zu lächeln, als wüsste ich nicht, wovon er sprach. »Was tut Ihnen leid?«
    Er hob beide Hände. Eine beschwichtigende Geste. Aber ich fühlte mich nicht beschwichtigt. Ich hatte Angst. Vor ihm.
    Er trat ein paar Schritte von der Tür weg und lehnte sich an die alte Truhe gegenüber von mir. Ich konnte sein Aftershave riechen. »Keine Ahnung, was in mich gefahren ist. Deine Fragen haben mich ziemlich aus der Bahn geworfen.«
    »Welche Fragen? Aber warum haben Sie mich gestoßen?« Meine Stimme war nur mehr ein Flüstern.
    »Ich wollte das nicht. Es ist … ich habe nicht darüber nachgedacht.«
    »Aber dann … haben Sie auch Julia …?« Ich wollte es nicht glauben. Vielleicht gab es irgendeine Erklärung für alles.
    »Deine liebe Freundin hat ihre Nase in Dinge gesteckt, die sie nichts angingen.« Seine Stimme klang anders als sonst. Härter. »Ich habe sie beobachtet, um herauszufinden, wie viel sie wusste. Und dann kam sie daher und fragte mich, ob ich ein Verhältnis mit einer Schülerin anfangen würde. Da war mir klar, was sie wusste. Dass sie mich bedrohen wollte. Sie wollte mich erpressen.«
    »Melissa«, hauchte ich. Meine Knie drohten nachzugeben und mir wurde schlagartig heiß. Ich musste Zeit gewinnen, Ruhe bewahren. Denk nach, Theresa! Bring ihn zum Reden. »Was genau ist mit Julia passiert? Es war doch ein Unfall, hat die Polizei gesagt.«
    Steinmenger sah mich irritiert an. »Ja, ein Unfall. Ich wollte ihr nicht wehtun. Ich wollte nur mit ihr reden, ihr alles erklären, damit sie mit meiner Affäre nicht an die Öffentlichkeit geht. Und als sie endlich einmal alleine unterwegs war, bot ich ihr an, sie nach Hause zu bringen. Sie wurde erst misstrauisch, als sie merkte, dass ich woandershin fuhr. Ich hatte Angst, sie würde aus dem fahrenden Wagen springen und sich verletzen, also verriegelte ich die Türen und überlegte, wohin ich sie bringen konnte, wo sie nicht gleich die halbe Dorfbevölkerung zusammenschreien würde. Da fiel mir die Brücke ein. Kaum hatte ich angehalten, war sie schon aus dem Auto und rannte davon. Ich lief ihr hinterher. Es war glatt und sie rutschte ein paar Mal fast aus. So erreichte ich sie, knapp bevor sie auf der Brücke angekommen war, und hielt sie an der Jacke fest.«
    Mich schauderte. So ähnlich hatte ich mir Julias letzte Minuten vorgestellt. Was musste sie empfunden haben, als ihr klar wurde, dass nicht ihr Vater Schuld an Melissas Tod hatte? Meine Kehle brannte. Am liebsten hätte ich mich mit erhobenen Fäusten auf Steinmenger gestürzt, mit all meiner Wut, Verzweiflung und Trauer auf ihn eingeprügelt. Er war es, er hatte Julia auf dem Gewissen, die ganze Zeit!
    Ich musste hier raus!
    Ich tastete mich in winzigen Schritten die Wand entlang in Richtung Haustür. Ruhe bewahren, keine hastigen Bewegungen machen. Irgendwie würde ich es schaffen, hier rauszukommen und die Polizei zu rufen. Frag ihn weiter, bring ihn dazu weiterzusprechen. Lenk ihn ab. Ich schluckte trocken. »Aber sie hat sich losgerissen, oder?«
    Steinmengers Blick schweifte ab, als würde er aus weiter Entfernung die Szene beobachten, die er mir schilderte. »Ja und dabei taumelte sie zurück, konnte sich nicht mehr halten, dass sie über die Brüstung fiel. Sie hatte noch versucht, sich festzuhalten, doch das Holzgeländer war glitschig und ihre Hände rutschten ab. Ich stand nur einen Schritt entfernt. Aber bis ich bei ihr war, lag sie schon unten. Ich konnte nichts mehr tun.«
    Unwillkürlich schluchzte ich auf. Er hätte einen Krankenwagen rufen können oder die Polizei. Egal wen, Hauptsache Hilfe. Julia hätte nicht sterben müssen, er hatte sie sterben lassen.
    Steinmenger war wieder in der Gegenwart angekommen. Sein stechender Blick richtete sich auf mich. »Ich bin dann so schnell wie möglich abgehauen. Was glaubst du, hätten die Leute sonst gedacht: ich mitten in der Nacht, an einem einsamen Ort – gemeinsam mit einer Schülerin, einer vermutlich toten Schülerin. Ich weiß, was ich für einen Ruf habe – viele glauben, dass ich die Annäherungsversuche meiner Schülerinnen ausnutze. Das stimmt nicht. Aber wenn ich nicht auf ihre

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