Frostengel
Wohnungstür aufschloss, hörte ich von drinnen bereits laute Musik, Gelächter und Stimmengemurmel. Verdammt, Corinna!
In der Diele stapelten sich mehrere Paare Schuhe, die definitiv weder mir noch meiner Schwester gehörten. Jacken lagen am Boden, Schals und Handschuhe überall verstreut. Ich gab mir nicht einmal Mühe, leise zu sein, bei dem Lärm bekam sowieso niemand mein Heimkommen mit.
Ein paar Sekunden lang betrachtete ich das Treiben vor mir. Mindestens zehn Jugendliche lümmelten in unserem Wohnzimmer herum, ein Pärchen lag auf dem Sofa, meine Schwester – oder einer ihrer »Gäste« – hatte die Chips gefunden, die meine Mutter eingekauft hatte. Brösel bedeckten den Teppichboden, ein paar Leute tanzten und rieben die Krümel schön hinein. Was mich am meisten zornig machte, waren die zwei leeren Weinflaschen, die auf dem Tisch standen. Herrgott, die hatten noch vor Kurzem mit Bauklötzen gespielt! Die meisten kannte ich sogar und keiner von ihnen war älter als 14!
Ich schaute mich nach Corinna um, doch sie war nicht hier. Sollte ich zuerst diesem Trubel ein Ende bereiten oder doch lieber meine Schwester suchen? Ich entschloss, mich erst um Corinna zu kümmern. Mühsam bahnte ich mir den Weg zu ihrem Zimmer. Normalerweise klopfte ich an, doch jetzt war ich zu wütend dafür. Ich riss die Tür auf und hätte sie am liebsten gleich wieder zugeknallt. Stattdessen nahm ich die Vase mit den Nelken, die auf der Kommode neben der Tür stand, und schüttete das Wasser über die zwei Gestalten, die halb nackt im Bett lagen.
Der Junge, wieder dieser Timo, fuhr hoch, als hätte ich ihm einen Stromschlag verpasst. Als er mich erkannte, sparte er sich jeden Protest.
»Wenn ich dich noch einmal hier sehe, nehme ich das nächste Mal nicht nur Wasser«, sagte ich betont langsam. Er nickte, raffte seine Kleidung zusammen und verschwand aus dem Zimmer.
Ich drehte mich um, ohne meine Schwester noch eines Blickes zu würdigen. Im Wohnzimmer schaltete ich die Anlage aus und erntete dafür missmutiges Gemurmel, doch das war mir egal. »Leute, auf Nimmerwiedersehen. Die Party ist zu Ende.«
Langsam trollten sie sich, einer nach dem anderen. Ich wartete mit verschränkten Armen in der Tür, bis alle die Wohnung verlassen hatten. Dann sah ich mir das Chaos an. Keinen Finger würde ich rühren, nahm ich mir vor. Um ja nicht in Versuchung zu geraten, hinter Corinnas Gästen aufzuräumen, setzte ich mich demonstrativ auf die Couch und schaltete den Fernseher an. Ich wartete darauf, dass Corinna aus ihrem Zimmer kam.
Es dauerte nicht lange. Sie stellte sich zwischen den Fernseher und mich. »Okay, es war falsch, meine Leute einzuladen.«
Ohne ihr eine Antwort zu geben, rutschte ich ein Stück zur Seite, um an ihr vorbei auf den Bildschirm zu sehen. Die Sendung interessierte mich nicht mal, aber ich war so dermaßen wütend auf sie, dass mir die Worte fehlten. Außerdem wollte ich sie eine Weile schmoren lassen.
Sie trat erneut in mein Blickfeld. Innerlich musste ich lächeln. Corinna hasste es, übergangen zu werden. Äußerlich bemühte ich mich, möglichst unbeteiligt zu bleiben, und rutschte einfach noch ein wenig zur Seite.
»Gut! Dann sprich halt nicht mit mir. Ist auch egal. Ich sagte schon, dass es mir leidtut.« Sie ging zum Tisch und begann, die Gläser abzuräumen. Ich verschränkte die Hände hinter meinem Kopf.
Zweimal kam Corinna an mir vorbei und trug benutztes Geschirr in die Küche. Ich hörte, wie sie die Gläser im Geschirrspüler verstaute. Als sie das dritte Mal im Wohnzimmer auftauchte, sagte sie: »Aber das mit Timo, das tut mir nicht leid!« Ihr typischer Trotz kam durch.
Ich richtete mich auf. Obwohl ich kein Wort mit ihr reden wollte, konnte ich mich nicht länger zurückhalten. »Weißt du, wie mich das hier enttäuscht? Julia war auch deine Freundin, zumindest hast du das gesagt – und was machst du? Du feierst eine Party! Macht man das so, wenn man um jemand trauert? Abgesehen davon: Ich dachte, das mit Timo hätten wir geklärt. Du bist noch zu jung für Sex. Mensch, fällt es dir wirklich so schwer zu warten? Oder fällt es ihm schwer? Liegt es daran, dass er dich bedrängt?«
Sie starrte mich mit großen runden Augen an und schüttelte den Kopf. »Du verstehst das nicht. Nichts verstehst du!«
Sie ließ mich allein, um kurz darauf mit dem Staubsauger wiederzukommen. Während das Gerät brummte und Corinna gewissenhafter als gewöhnlich sämtliche Chipsbrösel vom Teppich saugte,
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