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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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ausgeht, es wird nie mehr wie früher sein, bevor ich Melissa mit Papa gesehen, ehe ich seine Handschuhe entdeckt habe.

Kapitel 9
    Nie hätte ich es für möglich gehalten, aber man konnte sich mit Leon richtig unterhalten. Nicht dass er mir deshalb gleich sympathisch wurde, aber das machte es für mich einfacher. Es ging mir ja darum, ihm näherzukommen, und das würde ich nur schaffen, wenn wir gemeinsame Gesprächsthemen fanden. Eines dieser Themen war Julia. Auch wenn ich ihm nicht jedes Wort glaubte, in einem log er nicht: Er hatte Julia wirklich gern gehabt und er hatte Schuldgefühle, weil er ihren Tod nicht verhindern konnte.
    Schuldgefühle waren noch eine Gemeinsamkeit.
    »Ich mache mir auch Vorwürfe, dass ich an dem Abend nicht bei Julia war. Sie würde sonst noch leben.«
    Leon legte zaghaft seine Hand auf meine. Ich zog sie nicht weg. »Du kannst nichts dafür. Schließlich warst du krank.«
    Ich sah zur Decke hinauf und blinzelte ein paar Mal, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Ich konnte doch nicht schon wieder vor ihm heulen. »Ich weiß. Aber das macht die Sache trotzdem nicht wieder gut.«
    Leon schob die Packung mit den Taschentüchern, die ich ihm vorhin gegeben hatte, zu mir rüber. »Hier. Ich glaub, du brauchst sie eher als ich.«
    Ich öffnete die Packung und schnäuzte mich. Ich würde mich nicht schon wieder bei Leon bedanken. Obwohl, wenn ich ehrlich war, hatte es mir gutgetan, mit ihm über Julia zu reden. Nur würde er das genauso wenig von mir hören wie ein Dankeschön.
    Die Zeit im Grätzel verging wie im Flug. Irgendwann schaute ich auf meine Armbanduhr und stellte verblüfft fest, dass es schon nach fünf war. Ich raffte meine Sachen zusammen. »Tut mir leid, ich muss los«, rief ich Leon zu, während ich bereits unterwegs zur Theke war, um unsere Getränke zu bezahlen.
    Ich beschloss, den Bus zu nehmen, um schneller daheim zu sein. Mutter hatte gesagt, bei ihr würde es später werden, also wollte ich da sein, wenn Corinna heimkam. Vielleicht konnten wir gemeinsam kochen. Außerdem hatte sie, soweit ich wusste, noch für eine Mathearbeit zu lernen. Da konnte es nicht schaden, wenn wir den Stoff gemeinsam durchgingen. Mathe lag ihr leider gar nicht, aber wenn ich ihr Nachhilfe gab, standen die Chancen gut, dass sie wenigstens keine Fünf schreiben würde.
    Schon auf dem Weg zur Bushaltestelle hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Verdammt, wenn das Leon war, konnte er etwas erleben! Doch sosehr ich mich bemühte, ihn irgendwo hinter einem Baum zu entdecken, er war nicht da. Bloß zwei ältere Damen aus Kleinhardstetten. »Guten Tag«, murmelte ich und stellte mich ein Stück weiter weg, damit sie erst gar nicht auf die Idee kamen, mich anzusprechen. Doch sie waren ohnehin in ihr Gespräch vertieft. In meinem Nacken stellten sich plötzlich die Härchen auf. Am liebsten wäre ich weggelaufen. Was war bloß los mit mir? Ich war doch sonst nicht ängstlich. Hör auf dein Gefühl, hätte Julia jetzt gesagt. So unauffällig ich konnte, sah ich mich um.
    Da! Hinter einem geparkten Auto auf der anderen Straßenseite stand ein Mann, der mich regelrecht anstarrte. Ich blickte schnell weg und dann gleich wieder hin. Da hob er die Hand, als wolle er mich begrüßen. Vielleicht kannte ich ihn. Würde er mir sonst zuwinken? Doch sein Gesicht war unmöglich zu erkennen. Ein Schal war mehrmals um seinen Hals gewickelt und verdeckte alles, bis auf seine Augen. Dann hob er etwas hoch. Eine Kamera? Das war bestimmt keiner, den ich kannte! Schnell wandte ich mich ab, schaute demonstrativ in die andere Richtung und hoffte, dass der Bus endlich käme. Was für ein Kerl war das denn gewesen, fragte ich mich, als ich endlich im Bus saß. Und was wollte er von mir? Als der Bus anfuhr, drehte ich mich noch einmal nach dem Unbekannten um, doch er war weg. Mann, vielleicht hatte das Fieber der letzten Tage meinem Hirn nicht gutgetan und ich sah Dinge, die nicht da waren. Vielleicht waren die Ereignisse in den letzten Tagen ein bisschen zu viel für mich gewesen. Jetzt litt ich auch noch unter Verfolgungswahn. Sehr bedenklich, Theresa! Doch sosehr ich mich bemühte, mich wieder zu beruhigen, das mulmige Gefühl in der Bauchgegend blieb. Wie ich es drehte und wendete, sosehr ich mir einreden wollte, dass ich einem Irrtum aufgesessen war – der Mann war da gewesen. Ich hatte ihn gesehen. Einen Feigling, der sich nicht einmal getraut hatte, mir sein Gesicht zu zeigen.
    Noch bevor ich die

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