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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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ich habe sie in ihrem Zimmer nicht gesehen. Ich weiß nicht einmal, wann Julia die Kamera zuletzt verwendet hat.« Dann brach sie in Tränen aus. Ich legte das Messer aus der Hand und umarmte sie unbeholfen. »Es ist ja nicht schlimm, bestimmt hat Julia sie bloß verlegt«, versuchte ich Frau Mechat zu trösten.
    »Darum geht es gar nicht«, schniefte sie und griff nach der Rolle Küchenpapier. Sie riss ein Blatt ab, tupfte ihre Tränen weg und schnäuzte sich. »Entschuldige!«, sagte sie, als hätte es etwas zu entschuldigen gegeben.
    Ich wartete darauf, dass sie weitersprach. »Es ist nur so, dass mir das gar nicht aufgefallen ist, dabei hätte ich es bemerken müssen.« Und als sie meinen fragenden Blick bemerkte, setzte sie hinzu: »Julia war doch mit dem Fotoapparat und dem Camcorder verwachsen. Ohne ging sie nicht mal zur Schule.«
    Das stimmte. So wie andere ständig iPhones oder iPods bei sich hatten, trug Julia die beiden Kameras mit sich herum. Wie oft hatte ich mich darüber lustig gemacht, weil sie auf dem Weg zur oder von der Schule ein besonders tolles Motiv fand und sie es fotografieren oder filmen wollte, während ich mir die Beine in den Bauch stand. Julia war eine Perfektionistin gewesen.
    Frau Mechat sprach weiter: »Sie hat ein Stück von sich selbst aufgegeben und ich hatte keine Ahnung.«
    »Vielleicht hat sie sie einfach verlegt – ich meine, besonders ordentlich war Julia noch nie«, antwortete ich und versuchte ein Lachen, mehr um Julias Mutter zu trösten als aus Überzeugung. Man konnte von Julia sagen, was man wollte, aber Dinge, die ihr wichtig waren, verstaute sie so, dass sie sie wiederfand. Sie hätte die teuren Apparate niemals irgendwo hingelegt, wo sie verloren gehen oder zu Schaden kommen konnten.
    »Vielleicht«, räumte Frau Mechat ein, aber ich hörte den Zweifel in ihrer Stimme. Auch sie wusste, dass Julia ihre Kameras niemals verlegt hätte.
    Dr. Mechat kam wenig später zum Mittagessen nach Hause. In den paar Tagen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, schien er um Jahre gealtert zu sein. Trotzdem lächelte er, als er mich sah. Der Schmerz über den Verlust seiner Tochter stand ihm ins Gesicht geschrieben, auf seiner Stirn sah ich tiefe Falten – jetzt wusste ich, was mit diesem Satz gemeint war.
    Wir saßen um den runden Esstisch. Ich merkte, wie sich Julias Eltern bemühten, nicht auf den leeren Stuhl zu blicken. Julias Platz. Ich schluckte, um den Kloß in meinem Hals wegzubekommen.
    Frau Mechat ergriff die Hand ihres Mannes. »Sebastian, Theresa hat auf Julias Computer Fotos von sich entdeckt. Würdest du sie ihr ausdrucken?«
    Herr Mechat hob den Löffel voll Suppe zu seinem Mund und nickte. »Klar, das mach ich nach dem Essen. Dann kannst du sie gleich mitnehmen.«
    »Das wär schön. Danke.«
    Eine Weile aßen wir stumm, dann wagte ich zu fragen, ob sie wussten, wo Julias Tagebücher waren.
    »Keine Ahnung, wo sie die aufbewahrt hat. Du etwa?«, wandte sich Frau Mechat an ihren Mann.
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist erschreckend, vor Augen gehalten zu bekommen, wie wenig ich eigentlich über meine Tochter weiß«, murmelte er. Er sah bedrückt aus. Die wenigsten Eltern wussten alles über ihre Kinder, aber gerade bei Julias Familie hatte ich immer das Gefühl gehabt, dass sie sehr offen miteinander umgingen. Nicht so wie bei mir zu Hause. Komisch, dass die Mechats das offenbar ganz anders sahen als ich.
    Nach dem Essen zeigte ich Julias Vater die Fotos und er druckte sie für mich aus.
    »Tessa? So, so«, sagte er und schmunzelte.
    Ich spürte das Blut in meine Wangen schießen. »Das war Julias Spitzname für mich.«
    »Schon gut, ich verrate es niemandem.«
    Der Abschied von den Mechats war herzlich und ich musste versprechen, bald wiederzukommen. Herr Mechat nahm mich mit in die Stadt, weil er einen Patientenbesuch machen musste. Er bot mir an, mich später zurück nach Kleinhardstetten zu bringen, aber ich lehnte ab. »Vielen Dank, aber ich weiß noch nicht, wie lange ich brauche.«
    Er winkte mir zu, bevor er davonfuhr. Nun stand ich da und war unschlüssig, ob ich zu Leon oder ins Grätzel gehen sollte. Welche Möglichkeit war vielversprechender? Welche weniger auffällig? Wäre Julia noch am Leben, würde Leon sicher im Grätzel auf uns warten. Allerdings ohne Julia würde ich ihn eher zu Hause antreffen. Sollte ich es wagen? Wäre es nicht komisch, wenn ich ohne triftigen Grund bei ihm auftauchte? Mein Repertoire der Annährungsversuche war, traurig,

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