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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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rüberkommen. Ich wollte zu ihm auf die andere Seite, doch ich konnte mich nicht mehr von der Stelle rühren. Das Einzige, das ich zustande brachte, war, Julias Namen zu rufen. Da drehte sich Leon um und ging fort, während sein Lachen mich verhöhnte.
    Dieses Lachen hatte ich immer noch im Ohr, als ich meine Augen aufschlug. Ich brauchte einen Moment, bis ich merkte, dass ich in meinem Bett lag. Ein Blick auf den Wecker zeigte mir, dass es bereits halb zehn war. Dennoch fühlte ich mich kein bisschen ausgeschlafen.
    Ich lehnte mich in das Kissen zurück und schloss noch einmal die Augen. Sofort sah ich Leon vor mir und mein Traum fiel mir ein. Zum Glück war ich noch nie abergläubisch gewesen, ganz klar: Ich mischte einfach alles, was ich in Julias Tagebuchaufzeichnungen gelesen hatte, in meinem Kopf zu einem belanglosen Film zusammen.
    Das, was ich dringend brauchte, war eine Tasse Kaffee. Was sollte ich tun? Ich hätte wetten können, dass Klaus die Nacht hier verbracht hatte. Wenn ich jetzt aufstand, würde ich ihm womöglich über den Weg laufen. So nett ich ihn auch fand, darauf konnte ich getrost verzichten. Auf den Kaffee auch, beschloss ich. Stattdessen stopfte ich das Kissen hinter meinen Rücken, um halbwegs bequem zu sitzen, und schnappte mir Julias Tagebuch, das ich gestern neben mein Bett auf den Boden gelegt hatte. Dann blätterte ich bis zu der Seite, bei der ich mit dem Lesen aufgehört hatte.
    21. Februar 2012
    Ich hab’s getan. Ich war in der Praxis meines Vaters. Mein Herz hat wie wild geklopft. Obwohl ich nicht das erste Mal dort war und die Räume kenne und obwohl ich einen Schlüssel benutzt hab und somit nicht mal wirklich eingebrochen bin, kam ich mir wie ein Dieb vor. Es ist schon eigenartig, wenn keine Patienten da sind. Licht traute ich mich nicht zu machen, deshalb musste ich mich im Halbdunkeln zurechtfinden. Einmal dachte ich, mein Herz bleibt stehen, als das Telefon klingelte. Doch dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
    Mein Vater hat zwei Behandlungszimmer, in denen er seine Patienten empfängt. Außerdem gibt es den Warteraum, einen Empfang, wo die Leute sich anmelden und ihre Rezepte abholen, und dann gibt es noch einen schmalen Gang, der durch Vorhänge in zwei Kabinen unterteilt ist. Dort kommen die Patienten rein, die Infusionen bekommen. Ich rechnete mir aus, dass ich weder im Warteraum noch in den Kabinen etwas von Belang finden würde. Am Empfangstisch, wo normalerweise Alice sitzt, wohl auch nicht. Also konzentrierte ich mich auf die beiden Behandlungszimmer, doch nirgends ein Hinweis auf Melissa, bloß der übliche Kram: alte Rezeptformulare, Kugelschreiber, Notizblöcke, die er von irgendwelchen Pharmavertretern geschenkt bekommen hat.
    Mir war klar, dass ich an den Computer musste. Der Rechner meines Vaters ist mit einem Passwort gesichert. Ich probierte herum, gab den Namen meiner Mutter, ihr Geburtsdatum und dann meine Daten ein, doch nichts davon stimmte. Ich versuchte es sogar mit Melissas Namen, doch auch den nahm der Computer nicht. Ich war schon am Aufgeben, doch dann fiel mir ein, dass Alice’ Computer am Empfang mit dem meines Vaters verbunden war. So konnte er im Behandlungsraum ein Rezept ausstellen und ausgedruckt wurde es am Drucker bei Alice. Womöglich konnte ich von Alice’ Rechner ebenfalls auf den im Praxiszimmer zugreifen. Und ihr Kennwort kannte ich. Also dachte ich, nichts wie hin. Ich loggte mich in den Computer ein, las mir noch einmal Melissas Krankenakte durch und machte mir Notizen. Außerdem kam mir die glorreiche Idee, in den Terminkalender zu sehen. Weil die Zeit nicht reichte, um alle Eintragungen durchzugehen, druckte ich alle Verabredungen und Termine aus.
    Ich musste mich beeilen. Für mein Treffen mit Theresa war ich schon spät dran. Als ich die Praxisräume verließ, überkam mich ein komisches Gefühl. Als sei ich nicht allein im Treppenhaus. Mein Herz begann zu rasen und ich bekam Schweißausbrüche. Mit Müh und Not schaffte ich es bis vor die Tür, wo die Straßenlaternen brannten. Obwohl ich wusste, dass ich nicht pünktlich sein würde, beobachtete ich von der Straßenecke aus den Eingang zur Praxis. Keine Ahnung, wie lange ich dort gestanden habe, jedenfalls hatte ich schon taube Finger und Zehen und deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Posten zu verlassen.
    Theresa schmollte, weil ich sie über eine halbe Stunde hatte warten lassen. Da erzählte ich ihr, dass ich eine weitere Panikattacke gehabt hatte,

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