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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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geschneit hatte, war eine Spur in der Schneedecke zu erkennen. So als ob jemand sich vor Kurzem einen Weg zu unserem Baum gebahnt hätte. Mein Herz schlug schneller. Es musste nichts bedeuten und die Spuren konnten von allem Möglichen stammen: einem Tier, das Unterschlupf gesucht hatte, Kinder, die hier gespielt hatten, von Herrn Mechat, der nach dem Rechten gesehen, von einem Obdachlosen, der eine Bleibe gesucht hatte. Oder von Julia.
    Ich griff über den Zaun nach innen und schob den Riegel auf. Es war nicht abgesperrt. Jeder konnte hier reinmarschieren. Ich drückte das Tor auf. Mir fiel der große Schneehaufen auf, der entstanden sein musste, als jemand beim Öffnen den Schnee beiseitegeschoben hatte. Mein Blick suchte die Leiter zum Baumhaus. Auf den Sprossen lag kein Schnee, aber möglicherweise war er fortgeweht worden. Es musste also nicht zwangsläufig bedeuten, dass wer hinaufgestiegen war. Ich würde es herausfinden müssen. Wenn Julia etwas für mich hinterlassen hatte, dann dort oben. Ich hielt mich an den ausgetretenen Pfad, wo der Schnee bloß bis zu meinen Knöcheln reichte, und dachte daran, wie Julia und ich einen Schneemann gebaut hatten, der riesengroß gewesen war. Wir hatten es nicht ohne die Hilfe ihres Vaters geschafft, den Kopf auf den Rumpf zu setzen, weil wir zu klein waren, um die schwere Kugel hochzuhieven. Herr Mechat nahm seinen Schal ab und band ihn dem Schneemann um. Was hatten wir gelacht, als Julia sagte, die beiden sähen sich sogar ähnlich. Wir nannten unseren Schneemann Doktor und unsere Puppen waren seine Patienten.
    Ich hatte die Leiter erreicht und kletterte hinauf. Sie knarrte bedenklich. Hoffentlich hielt sie mein Gewicht.
    Auf allen vieren krabbelte ich durch die Öffnung und sofort waren alle Erinnerungen da. In einer Ecke lag zusammengelegt eine Decke. Ich war mir sicher, dass sie vor nicht allzu langer Zeit hergebracht worden war. Sie sah neu aus. Ich ließ meinen Blick weiter durch das Häuschen schweifen. Alles sah jetzt viel kleiner aus als damals. Dennoch wäre immer noch Platz für zwei Personen gewesen. Julia und mich. Ich schluckte, um den Kloß in meinem Hals hinunterzuwürgen. Ich wünschte, Julia und ich hätten die Zeit, die wir hatten, besser genutzt. Wir hätten noch öfter, noch mehr etwas miteinander unternehmen sollen. Das Gefühl, unheimlich viel versäumt zu haben, wurde fast übermächtig. Tu was!, befahl ich mir. Ich würde mich bestimmt nicht in Selbstmitleid suhlen oder über vertane Chancen jammern. Das lag mir nicht und Julia hätte das bestimmt auch nicht gewollt.
    Hinten an der Wand stand eine große Kiste aus Kunststoff, wo wir unsere Barbies und Puppenkleider verstaut hatten. Es war uns wichtig gewesen, die Kiste mit einem Schloss zu sichern. Auch jetzt hing das Vorhängeschloss daran. Da wir nur einen Schlüssel hatten, suchten wir uns ein Versteck auf einem Balken. Mit einer Hand tastete ich nach ihm. Tatsächlich, er lag immer noch dort, wo wir ihn hingelegt hatten. Ich betrachtete meinen Fund. Weder der Schlüssel noch mein Handschuh waren besonders staubig. Das hieß, jemand hatte ihn erst vor Kurzem in Verwendung gehabt.
    Auch dass das Schloss sich mühelos öffnen ließ, war ein weiteres Indiz für Julias Anwesenheit in letzter Zeit. Dass jemand anderes unser Versteck für sich beansprucht und unsere Geheimnisse entdeckt haben könnte, wollte ich nicht mal in Gedanken zulassen.
    Einen kurzen Augenblick kniete ich unschlüssig vor der Kiste. Wollte ich tatsächlich wissen, was drinnen war? Was hielt mich jetzt noch zurück? Ich wollte doch Antworten. Julias Tod konnte nicht einfach ein Unfall gewesen sein. Ich wusste, dass ihr jemand etwas Schlimmes zugefügt hatte. Nur wer und warum, das wusste ich nicht. Vielleicht befanden sich die Antworten direkt vor mir. Ich holte tief Luft und klappte den Verschluss der Kiste auf. Dann hob ich den Deckel, ganz langsam, als könnte mich jeden Augenblick etwas anspringen. Doch nichts dergleichen geschah. Natürlich nicht, du Angsthase! Mit einem lauten Rumms knallte der Deckel gegen die Holzwand. Die Kiste war offen.
    Immer noch lagen ein paar Puppen und passende Kleidungsstücke darin. Ich erkannte eine Plastikkrone, die ich im Kindergarten zu Fasching getragen hatte, als mich meine Mutter in ein Prinzessinnenkostüm gesteckt hatte, obwohl ich viel lieber als Pirat gegangen wäre. Nach der Faschingsfeier hatte ich kurzerhand die Krone in diese Kiste gesteckt, damit ich sie nicht noch einmal

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