Frostengel
ich das Gefühl, nichts Falsches getan zu haben. Dass ich ihm Karin Zauner vorbeigeschickt hatte, lag doch nur daran, dass ich so besorgt wegen Julia gewesen war. Seinen enttäuschten Gesichtsausdruck verdrängte ich aus meinem Gedächtnis.
»Deswegen bin ich hier. Ich hätte dich nicht einfach so rauswerfen sollen.«
Ich seufzte. »Na gut, gehen wir in mein Zimmer.« Ich würde mir anhören, was er zu sagen hatte. Immerhin hatte er sich ja entschuldigt. Ich bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, mir zu folgen. »Den Kaffee kannst du mitnehmen.«
Vor meiner Zimmertür blieb er stehen, als würde er sich nicht hereintrauen.
»Was jetzt? Kommst du rein oder willst du lieber zwischen Tür und Angel reden?«
»Äh, nein.« Er trat vorsichtig ein, als hätte ich Fallen aufgestellt, um unliebsame Besucher abzuschrecken. Tatsächlich hatte ich das früher mal gemacht, als Corinna die Angewohnheit entwickelt hatte, ungefragt in mein Zimmer zu platzen. Sie hatte mich verpetzt, dabei waren es nur künstliche Spinnweben gewesen, die ihr ins Gesicht fielen. Wenigstens hatte meine Schwester so gelernt anzuklopfen. Ich hingegen hatte zwei Tage Hausarrest kassiert, aber das hatte sich ausgezahlt.
Leon sah sich neugierig um und ich wünschte, ich könnte seine Gedanken lesen. Ich deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Setz dich.«
Ich nahm auf der Bettkante Platz. Das Schweigen zwischen uns dauerte inzwischen unangenehm lange. »Also, warum bist du gekommen?«, fragte ich, als Leon von sich aus keine Anstalten machte, etwas zu sagen.
Er rollte den Kaffeebecher zwischen den Händen und ich fürchtete, er würde ihn verschütten, wenn er so weitermachte. Doch dann stellte er ihn auf meinen Schreibtisch und stützte beide Arme auf seinen Knien ab. »Ja, also. Wegen gestern. Ich hab noch mal in Ruhe nachgedacht«, fing er an.
Da er nicht weitersprach, blieb mir nichts übrig, als zu antworten. »Leon, es tut mir echt leid, dass ich unter einem falschen Vorwand in deine Wohnung gekommen bin. Aber es tut mir nicht leid, dass ich auf mein Gefühl gehört hab, als ich Karin Zauner von dir erzählt hab. Ich mein, was hättest du denn an meiner Stelle getan? Ich hatte den Eindruck, du verfolgst Julia auf Schritt und Tritt. Jeder hätte den gleichen Schluss gezogen wie ich. Du hast ja selbst gesagt, dass du ihr gefolgt bist. Ich wusste nur nicht, weshalb. Jetzt ist Julia tot und alle Welt glaubt, dass es einfach ein Unfall war. Aber jetzt weiß ich, dass du ihre Ängste ernst genommen hast, als sie noch lebte. Und dafür bin ich dir sogar dankbar.« Das meinte ich wirklich so. Leon hatte Julia eine Art Personenschutz gegeben, bloß dass es nicht funktioniert hatte. Das konnte ich ihm nicht zum Vorwurf machen.
Leon sah auf. Direkt in meine Augen. »An dem Abend im Grätzel, an dem du so schnell abgerauscht bist, weil … weil ich bei euch am Tisch saß, da habe ich sie nach Hause gebracht, weil sie permanent das Gefühl hatte, jemand beobachte sie. Sie hat mir erzählt, das sei öfter vorgekommen. Ich musste doch etwas tun! Ich wollte nur helfen. Ehrlich. Und dann kommst du daher, schickst mir die Polizei und schnüffelst in meiner Wohnung rum. Das hat mir einen ziemlichen Tiefschlag versetzt, dabei dachte ich …« Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.
»Was dachtest du?«
Leon winkte ab. »Ach, ist egal. Jetzt spielt es eh keine Rolle mehr. Ich wollte dir einfach nur sagen, dass ich dir wegen gestern nicht böse bin. In dem Moment, als ich herausfand, warum du wirklich gekommen warst, war ich ziemlich wütend und enttäuscht, aber irgendwie versteh ich dich sogar. Julia war deine Freundin. Klar, dass du herausfinden willst, was mit ihr passiert ist. Ich mochte sie auch und deshalb will ich dir helfen. Wir haben das gleiche Ziel. Wir sollten zusammenarbeiten statt gegeneinander.« Er streckte mir die Hand entgegen.
Ich spürte in mich hinein. Wenn ich einschlug, hieß das, dass ich Leon vertrauen musste. Ob ich das schaffen würde? Ich musste es versuchen, schließlich hatten mir meine eigenen Nachforschungen ja bisher nicht gerade viel gebracht. Also schüttelte ich Leon die Hand. Er hielt sie länger als nötig fest. »Keine falschen Spiele mehr?«
»Versprochen«, sagte ich. »Aber das gilt auch für dich, okay?« Er nickte.
»Gut, was wolltest du also vorhin sagen? Dabei dachtest du …?« Ich fühlte, dass es etwas Wichtiges gewesen war. Etwas, was nichts mit Julia zu tun hatte, sondern mit mir.
Er seufzte.
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