Frostengel
Comicfiguren gezeichnet und die Lebensläufe der Schüler waren in Reimform geschrieben. Die große Lyrik war es nicht, schon klar, aber es war lustig zu lesen.
Da fällt mir ein, dass ich die Zeitung vom letzten Jahr noch irgendwo habe. Da muss ich unbedingt nachlesen, was über Melissa drinsteht. Gleich wenn ich zu Hause bin, werde ich zusehen, dass ich diese Zeitung finde. Abgesehen davon, dass ich wirklich wissen will, wie Melissa von ihren Mitschülern beschrieben wurde, hoffe ich, dass ich Sandra mit einigen Ideen zu unserer Ausgabe überraschen kann.
Kapitel 19
Die Handschuhe gab ich Melissa. Sie war bei mir, hat mir voll Freude das erste Ultraschallfoto des Babys gezeigt und erzählt, sie würde sich gleich anschließend mit dem Vater des Kindes treffen, um ihm endlich reinen Wein einzuschenken. Es war beißend kalt und sie hatte keine Handschuhe, also drängte ich sie dazu, meine zu nehmen. Julia hatte sie mir erst zu Weihnachten geschenkt. Wenn ich geahnt hätte, was das bei Julia auslöst!« Herr Mechat fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.
Ich hätte ihm dieses Gespräch gerne erspart, aber wenn ich Julias Verdächtigungen aus dem Weg räumen wollte, musste ich alles erfahren.
»Sie wissen nicht, wer der Vater von Melissas Baby war?«
»Nein, aber selbst, wenn, könnte ich dir das nicht sagen.«
»Was hatte es denn damit auf sich, dass Julia Sie und Melissa gemeinsam in Ihrem Auto gesehen hat?«
Herr Mechat runzelte die Stirn und dachte nach. »Ich habe Melissa tatsächlich einmal mitgenommen. Das war unmittelbar nachdem ich ihre Schwangerschaft diagnostiziert hatte. Ich riet ihr, zu einem Gynäkologen zu gehen, aber sie traute sich nicht alleine. Es ist unglaublich, wie viele Ängste so ein junges Mädchen hat. Also habe ich bei Dr. Szabó angerufen, einen Termin für sie ausgemacht, und bevor sie es sich anders überlegen konnte, habe ich sie dorthin begleitet. Melissa hat mir einfach leidgetan. Sie hatte ja niemand, dem sie sich anvertrauen konnte.«
Ja, das klang nach Herrn Mechat, stets hilfsbereit, selbstlos und großherzig. Wie es aussah, hatte Julia alles falsch interpretiert, wahrscheinlich verblendet von ihrer Angst. Ich wünschte, sie hätte sich diese Erklärungen anhören können.
»Was heißt, sie hatte niemand? Was war denn mit ihren Eltern? Oder mit dem Vater des Kindes?«, fragte ich, obwohl ich genau wusste, welche Beziehung Melissa zu ihren Eltern gehabt hatte.
»Darüber darf ich nicht sprechen«, antwortete er.
Ich stützte mich auf und sah ihm direkt in die Augen. »Dr. Mechat, finden Sie wirklich, dass diese Dinge unter die ärztliche Schweigepflicht fallen? Es ist toll, dass Sie Ihren Patienten gegenüber so loyal sind, aber Melissa ist tot. Sie ist nicht mehr Ihre Patientin. Ich versuche immer noch herauszufinden, was mit Julia passiert ist. Die Unfallversion glaube ich nämlich nicht.«
»Bitte, Theresa. Ich weiß, wie schwierig es für dich ist, aber du musst sie loslassen können. Es hat keinen Zweck, Hirngespinsten …«
»Hirngespinsten nachzujagen? Wollten Sie das sagen? Julia ist einem Hirngespinst nachgelaufen. Ich bin sicher, sie ist gestorben, weil sie versucht hat, die Wahrheit über Ihre Beziehung zu Melissa herauszufinden. Sie hat Leute gefragt, ist zu Melissas Eltern gefahren und hat sogar Melissas Freundin kontaktiert.« Dass Julia in der Praxis herumgeschnüffelt hatte, erwähnte ich wohlweislich nicht. Herr Mechat musste schließlich nicht alles wissen.
Ich holte Luft und sprach weiter, bevor mich Julias Vater unterbrechen konnte: »Vielleicht hat sie dabei etwas entdeckt, das ihr gar nicht bewusst war. Was, wenn Julia deshalb sterben musste?«
»Sie hätte mich jederzeit fragen können«, flüsterte Herr Mechat. In seinen Augen schimmerten Tränen. Er tat mir leid, aber jetzt konnte ich nicht lockerlassen. Ich war ganz nahe dran zu erfahren, wer Melissas Liebhaber war.
»Julia wusste, dass sie Sie nicht fragen brauchte. Sie hätten ihr gegenüber nichts gesagt. Hab ich recht? Sie haben ihr ja schon damals Ihre Affäre verschwiegen.«
Herr Mechat antwortete nicht. War ich zu weit gegangen? Vielleicht sollte ich mal anfangen zu denken, bevor ich wild drauflosplapperte. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er mich hochkant hinausgeworfen hätte.
Endlich räusperte er sich. Seine Stimme klang wie die eines Fremden. »Es gibt nichts, was deine Theorie stützt. Die Polizei ist der Meinung, es sei ein Unfall gewesen.«
»Und was denken
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