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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Unglück«, wiederholte er und verfiel zurück in die vertraute Einsilbigkeit. »Hmm.«
    Sie wog ihre Chancen ab. Vielleicht, wenn sie zwischen seinen Beinen hindurch … Aber sie hatte kaum noch genug Puste, um gerade zu stehen, geschweige denn für eine Verfolgungsjagd.
    »Was für ein Unglück?«, fragte er.
    Laut Kukuschka glaubten alle, der Rundenmann sei ein Spitzel der Geheimpolizei. Machte ihn das in ihrer Lage nicht zu fast so etwas wie einem Verbündeten?
    »Eine Bombe«, sagte sie ergeben. »Im Keller ist eine Bombe versteckt.«
    Vielleicht war es ein Fehler. Vielleicht auch nicht. Wenn es half, noch mehr Menschen in noch kürzerer Zeit aus dem Hotel zu schaffen, dann hatte sie das Richtige getan. Trotzdem kam sie sich vor wie eine Verräterin. So als hätte sie gerade dafür gesorgt, dass ihre Mutter ein zweites Mal gefangen genommen und hingerichtet wurde.
    Aber Tamsin war nicht ihre Mutter. Nur eine Verrückte mit einer Bombe und einer zu kurz geratenen Zündschnur. Sie würde Menschen töten. Viele Menschen.
    Aber hatte Maus’ Mutter nicht dasselbe vorgehabt? Und wäre sie dadurch etwa weniger ihre Mutter gewesen? Von manchen Dingen konnte man sich einfach nicht freisprechen. Nicht von Müttern. Und, manchmal, auch nicht von Freundinnen. Ganz gleich, was sie auch taten.
    Aber aufhalten konnte man sie vielleicht. Und andere vor ihnen warnen.
    »Eine Bombe«, wiederholte der Rundenmann düster. »Wo?«
    »In einer geheimen Kammer hinter dem Weinkeller … ganz am Ende, hinter dem letzten Fass.« Kurz blitzte der Gedanke auf, dass dort auch all die gestohlenen Sachen lagen, aber das war nun bedeutungslos geworden. »Die Engländerin, Lady Spellwell, Sie kennen sie … sie wird die Bombe zünden, jeden Moment. Und ich weiß, dass noch jemand hier oben im Hotel ist. Ich muss ihm Bescheid geben, bevor es zu spät ist.« Sie holte tief Luft, so schnell waren die Worte aus ihr herausgesprudelt. Fast ein wenig resigniert fügte sie hinzu: »Lassen Sie mich jetzt gehen?«
    Winzige Wassertropfen glänzten in seinem Haar. Sein Gesicht füllte wieder ihr ganzes Blickfeld aus und flößte ihr Ehrfurcht ein. Aber sie hatte keine Angst mehr vor ihm. Darüber war sie längst hinaus.
    »Gehen lassen«, murmelte er nachdenklich. »Hmm … Im Weinkeller, sagst du?«
    »Ja. Das letzte Fass kann man zur Seite rollen. Da ist ein Spalt in der Mauer. Aber Sie müssen sich beeilen. Und vorsichtig sein. Wenn Tamsin jemanden hört, wird sie die Bombe zünden.«
    Verräterin!, schrie es in ihr.
    Aber ich bin keine Nihilistin. Und schon gar keine Mörderin!
    Er würde sie trotzdem mitnehmen und ins Gefängnis der Stille werfen lassen. Aber machte das wirklich einen so großen Unterschied zu ihrem bisherigen Leben? Sie kannte sich aus mit dem Alleinsein und mit Selbstgesprächen. Sie mochte Mauern um sich herum. Und dort musste sie wenigstens keine Schuhe putzen.
    »Sie will also den Zaren umbringen?«, fragte der Rundenmann.
    »Den Zaren?« Maus war einen Moment lang wie vor den Kopf gestoßen. »Ach was, der Zar ist ihr egal. Sie will … sie will« – die Schneekönigin töten! – »das Hotel zerstören.«
    »Das Hotel … hmm, hmm.«
    Maus machte sich bereit, einfach loszulaufen. Sie musste es wenigstens versuchen. Besser, als hier herumzustehen und zuzuhören, wie er andauernd »Hmm« machte und kostbare Zeit verschwendete.
    Sie holte Luft – und stürmte vorwärts. Er bewegte sich blitzschnell, wollte nach ihr greifen, aber da war sie schon an ihm vorbei. Seine Pranke verfehlte sie um Haaresbreite. Maus schaute nicht zurück, während sie die Stufen im Laufschritt nahm, höher und höher die breite Wendeltreppe hinauf.
    Eine halbe Drehung weiter oben blickte sie über das Geländer und erkannte zu ihrem Erstaunen, dass er sie nicht verfolgte. Stattdessen kreuzten sich ihre Blicke ein letztes Mal, dann wandte er sich ab und stürmte die Treppe hinab, nahm mit jedem Schritt mehrere Stufen, ohne sich anzustrengen. Wo er gestanden hatte, blieb im Halbdunkel der feuchte Abdruck seiner Riesenschuhe zurück.
    Zwei Sekunden lang rührte Maus sich nicht, blickte ihm fassungslos hinterher und konnte gar nicht glauben, dass er sie zurückließ. Fast hätte sie »Und ich?« gerufen, aber natürlich tat sie es nicht.
    Verwundert und erleichtert lief sie weiter, während tief unter ihr die Tür im Erdgeschoss zuschlug. Er konnte wirklich verteufelt schnell sein. Aber war er schnell genug?
    Sie verließ das bodenlose Treppenhaus im

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