Frostfluch: Mythos Academy 2 (German Edition)
eigenen Entscheidungen treffen lassen wollte, damit ich mein Schicksal selbst bestimmen konnte, anstatt mich nach einer möglichen Zukunft zu richten, die vielleicht niemals eintraf. Daher erzählte sie mir selten genau, was sie gesehen hatte, wenn die Vision mich betraf.
Grandma setzte sich neben mich an den Küchentisch, während wir darauf warteten, dass die Schokoladen-Erdbeer-Kekse fertig wurden. »Also, Süße, welcher Spur folgst du diese Woche?«, fragte sie mit einem Lächeln. »Suchst du weiter nach verlorenen Handys und Laptops für die anderen Mythos-Schüler?«
»Nee«, sagte ich. »Alle sind mit dem Winterkarneval beschäftigt. Diese Woche hat mich niemand gebeten, etwas für ihn zu finden.«
Handys, Laptops, Geldbörsen, Taschen, Autoschlüssel, Schmuck, verlorene BH s und Boxershorts – meine psychometrische Magie half mir dabei, Dinge zu finden, die verloren gegangen, gestohlen worden oder sonst wie verschwunden waren. Natürlich konnte ich den Gegenstand selbst nicht berühren, wenn er nicht dort war, wo er sein sollte, aber jeder hinterließ Schwingungen auf allem, was er berührte. Normalerweise musste ich nur die Finger über den Schreibtisch eines Kerls gleiten lassen oder mich durch die Tasche eines Mädchens graben, um zumindest eine ungefähre Ahnung zu bekommen, wo er seinen Geldbeutel liegen gelassen oder sie ihr Handy abgelegt hatte. Und wenn vor meinem inneren Auge nicht sofort ein Bild aufblitzte, wo das Teil war, dann berührte ich einfach weiter Sachen, bis ich es herausfand – oder ein Bild von demjenigen empfing, der es geklaut hatte. Die meiste Zeit fiel es mir ziemlich leicht, der Spur aus psychischen Brotkrumen zu dem verlorenen Gegenstand zu folgen.
»Wie fühlst du dich, Süße?«, fragte Grandma mit sanfter Stimme. »Insgesamt. Der Unfall … liegt jetzt schon mehrere Monate zurück.«
Ich sah sie an und fragte mich, warum sie den »Unfall« so komisch betonte, als läge eine versteckte Bedeutung in dem Wort. Aber Grandmas Miene wirkte verschlossen und traurig. Außerdem war mir klar, was sie wissen wollte: wie ich mit dem Tod meiner Mom zurechtkam.
Mein Dad, Tyr Forseti, war an Krebs gestorben, als ich noch ein Kind gewesen war. Er und meine Mom Grace waren verheiratet gewesen, aber sie hatte den Nachnamen Frost behalten und an mich weitergegeben, wie es bei den Frauen in unserer Familie Tradition war, da unsere Gypsygabe, unsere Macht, von der Mutter an die Tochter vererbt wurde.
Ich konnte mich an meinen Dad nicht erinnern, aber meine Mom war im Frühling gestorben, und ihr Tod stand mir immer noch frisch und scharf und schmerzhaft vor Augen. Ich verspürte eine Menge Schuldgefühle – okay, massenweise Schuldgefühle – wegen des Todes meiner Mom. Immerhin hatte ich ihn verursacht.
In meiner alten Highschool hatte ich nach dem Sportunterricht die Bürste eines anderen Mädchens aufgehoben. Ich hatte gedacht, es sei relativ sicher, sie zu benutzen, da es nur eine Haarbürste war. Die meisten Leute übertrugen nicht besonders viele Gefühle auf den Gegenstand, mit dem sie sich die Haare kämmten.
Ich hatte mich geirrt.
Die Haarbürste hatte sofort Bilder aufblitzen lassen, und ich hatte ein krankes, krankes Geheimnis erfahren – dass der Stiefvater des Mädchens sie sexuell missbrauchte. Die Erinnerungen, Bilder und Gefühle waren so schrecklich gewesen, dass mich meine Magie völlig zum Ausrasten gebracht hatte. Ich hatte geschrien und geschrien und geschrien, bevor ich in Ohnmacht gefallen und später im Krankenhaus aufgewacht war. Ich hatte meiner Mom, die Polizistin war, davon erzählt. Sie hatte mich am selben Abend vom Polizeirevier aus angerufen, um mir zu sagen, dass sie den Stiefvater des Mädchens verhaftet hatte.
Das war das letzte Mal gewesen, dass ich mit ihr gesprochen hatte.
Moms Auto war auf dem Heimweg von einem betrunkenen Fahrer gerammt worden. Angeblich war sie sofort tot gewesen. Der Unfall hatte sie auf jeden Fall so entstellt, dass der Sarg bei der Beerdigung geschlossen blieb. Und daher kamen meine herzverkrampfenden, seelenquälenden Schuldgefühle. Ich konnte nicht anders, als zu glauben, dass meine Mom nicht mehr so spät unterwegs gewesen wäre, wenn ich diese Haarbürste nicht angefasst hätte. Und dann wäre sie nicht gestorben.
Ich vermisste meine Mom unglaublich, und ich wusste, dass es Grandma Frost genauso ging. Es hatte immer nur uns drei gegeben. Deswegen riskierte ich auch den Groll der Professoren und der Mächtigen von
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