Frostfluch: Mythos Academy 2 (German Edition)
Fenriswolf entfernt – durchaus nah genug für einen Angriff. Er musste sich nur vorlehnen und seine Kiefer um meinen Hals schließen, und ich wäre tot.
Doch statt mich anzuspringen beobachtete mich der Wolf, die Ohren flach an den riesigen Kopf gelegt. Das Tier hatte sich genauso in den Schnee gedrückt wie ich. Das Maul des Wolfes stand offen, und wahrscheinlich knurrte er mich an, aber über das Dröhnen der Lawine konnte ich es nicht hören.
»Das ist nicht mein Fehler, also töte mich nicht, okay?«, brüllte ich der Kreatur entgegen, obwohl ich wusste, dass es sinnlos war.
Die roten, zusammengekniffenen Augen des Wolfes waren das Letzte, was ich sah, bevor der Schnee mich traf und die Welt weiß wurde.
Es war einfach – brutal . Getöse und Schläge und Druck, der mich in jede Richtung warf und drohte, meine Arme und Beine vom Baumstamm zu reißen, mich davonzuwirbeln und mich tief, tief im Schnee zu vergraben, wo niemand mich je finden würde.
Ich packte fester zu und hielt durch.
Ich konnte nichts sehen, und ich konnte kaum atmen. Es gab nur Lärm und Druck und die stechende Berührung von Schnee. Ich wusste nicht, wie lang ich dort kauerte, das Gesicht gegen die raue Rinde gepresst, den gesamten Körper an den Stamm gedrückt. Meine Arme taten von der Anstrengung weh, mich an der Kiefer festzuklammern. Meine Lunge brannte von dem Versuch, genug Sauerstoff einzuatmen, um bei Bewusstsein zu bleiben, und Eiskristalle bohrten sich wie tausend kleine Dolche in mein Gesicht. Die ganze Zeit rammte der Schnee gegen mich, eine eisige Strömung, die versuchte, mich den Berg nach unten zu ziehen.
Und dann hörte es auf.
Das Brüllen, der Lärm und der Sog wurden weniger und verschwanden schließlich ganz. Es war vorbei – die Lawine hatte ein Ende gefunden.
Ich öffnete die schmerzenden Augen, aber die Welt war immer noch weiß. Warum? Warum sollte immer noch alles weiß sein? Mein Hirn schien einfach nicht funktionieren zu wollen, und es kostete mich eine Minute, um zu verstehen, dass ich bis zum Hals im Schnee steckte, während ich das Gesicht immer noch gegen den Stamm drückte, an den ich mich gebunden hatte. Für einen Moment bekam ich Panik, weil ich nicht wusste, wie ich mich befreien sollte – und wie lang es wohl dauern würde, bis ich erfror.
Ich zwang mich, an meine Mom zu denken. Sie hatte mich immer ermahnt, eine Sekunde innezuhalten und ruhig zu atmen, wenn ich Panik verspürte, Angst hatte oder aufgeregt war. Und ja, im Moment empfand ich definitiv alles davon. Aber Mom hatte immer gesagt, egal wie schlimm die Dinge standen, in Panik zu verfallen war das Schlimmste, was man tun konnte. Also konzentrierte ich mich mühsam auf meine Erinnerungen an sie und rief ihr Bild vor mein inneres Auge. Langes, braunes Haar, warme, violette Augen, ein wunderschönes, weises Lächeln. Mom.
Ich atmete weiter und dachte dabei an sie. Die Panik verließ mich nicht ganz, immerhin steckte ich in echten Schwierigkeiten, aber sie drohte nicht mehr, mich zu überwältigen. Ich konnte jetzt damit umgehen. Langsam, zögerlich ließ ich das Bild meiner Mom verblassen, nur um wieder den scharfen Schmerz des Verlustes zu spüren. Dann öffnete ich die Augen und fing an, Arme und Beine zu bewegen. Alles war noch dran, auch wenn ich mich von Kopf bis Fuß ziemlich zerschlagen, ramponiert und wund fühlte.
Die Jacke, die ich benutzt hatte, um mich an den Baum zu binden, war schon lange verschwunden. Der Schnee hatte sie weggerissen, zusammen mit meinem Handy und den Handschuhen, die ich in die Jackentaschen gesteckt hatte. Ich wusste nicht, wie ich es geschafft hatte, mich so lange an den Baum zu klammern. Vielleicht lag es daran, dass ich genau gewusst hatte, dass es der einzige Weg war zu überleben.
Ich drückte und schob und stemmte mir den Weg aus der Schneewehe frei und löste mich von dem Baum, der mir das Leben gerettet hatte. Er war jetzt schief und geknickt, die Nadeln verschwunden und die Äste nur noch zerbrochene, speerartige Stümpfe. Alle anderen Kiefern im Wäldchen sahen genauso aus. Als hätte sie jemand skalpiert. Sobald ich mich befreit hatte, blieb ich keuchend im Schnee liegen und war einfach nur glücklich, noch am Leben zu sein …
Ein leises Wimmern drang durch die zerstörten Bäume.
Der Wolf!
Ich hatte ihn in dem tosenden Chaos der Lawine vollkommen vergessen. Ich riss den Kopf herum und hielt nach der Kreatur Ausschau, wartete darauf, dass sie aus einer Schneewehe sprang und mich in
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