Frostfluch: Mythos Academy 2 (German Edition)
»Na ja, vielleicht haben Fenriswölfe einen freien Willen, aber die Schnitter haben alles Gute aus ihnen rausgefoltert, genau wie bei den Nemeischen Pirschern, Schwarzen Rocks und all den anderen Kreaturen, die sie benutzen. Mach dir nichts vor, Gwen. Dieser Wolf wurde von einem Schnitter erzogen, und das macht ihn genauso verdorben und böse wie den Schnitter selbst.«
»Genau«, schaltete sich Vic ein. »Verdorben, böse und nur gut zum Töten. Wenn du mich dabeigehabt hättest, hätte ich mich ganz allein um den großen Welpen kümmern können.«
Ich verdrehte die Augen, aber das Schwert bemerkte es gar nicht. Genauso wenig wie die Walküre. Stattdessen fingen Vic und Daphne an, darüber zu diskutieren, wer nun böser war, die Schnitter oder die mythologischen Monster, die sie ausbildeten. Dann sprachen sie über die besten Methoden, sie alle umzubringen. Ich blendete das Gespräch einfach aus. Sie waren nicht dabei gewesen und sie hatten nicht gesehen, welche Schmerzen der Wolf gelitten hatte. Sie hatten nicht wie ich seine Gefühle gespürt. Egal, was sie behaupteten, dieser Wolf war nicht ausschließlich böse. Irgendwo unter all diesen Zähnen und Klauen schlug ein Herz, genau wie bei mir. Nein, der Wolf war nicht einfach ein Monster, selbst wenn sein Schnitter-Meister ihn so ausgebildet hatte.
Sobald Daphne und Vic ihre Diskussion beendet hatten, verbrachten wir drei die nächste Stunde mit Rumhängen und Reden. Na ja, eigentlich redete überwiegend die Walküre. Sie erzählte mir, dass sie und die anderen Schüler auf dem Jahrmarkt die Explosion gehört und gesehen hatten, wie die Lawine den Berg hinunter direkt auf mich zugerast war. Da der Jahrmarkt auf einem Plateau stand, hatte ihnen durch das dröhnende Schneemonster keine Gefahr gedroht.
»Alle sind total durchgedreht«, sagte Daphne. »Auch Logan.«
Mein Herz setzte einen Schlag aus, auch wenn ich mein Gesicht ausdruckslos hielt. »Wirklich? Das kann ich kaum glauben.«
»O ja«, meinte die Walküre. »Er wollte unbedingt mit Ajax losziehen und nach dir suchen. Carson und ich auch, aber Metis und die anderen Profs haben es nicht zugelassen. Sie haben alle auf dem Jahrmarktsgelände festgehalten, bis der Schnee sich gesetzt hatte. Aber Logan, Mann, einmal dachte ich wirklich, er würde Nickamedes schlagen. Die zwei haben sich angeschrien. Kenzie und Oliver mussten Logan festhalten, sonst hätte er sich auf den Bibliothekar gestürzt.«
Ich lachte. »Das hätte ich ja nur zu gerne gesehen. Na ja, vielleicht hat Logan sich Sorgen um mich gemacht. Ich meine, wir sind befreundet, auf seltsame Art. Aber das spielt keine Rolle, weil ich ihn vor ein paar Minuten unten in der Lobby mit Savannah gesehen habe wie immer. Also hat sich nichts geändert. Außerdem bin ich unten auch Preston begegnet. Wir essen morgen zusammen zu Mittag, und ich werde Logan einfach vergessen – zumindest für den Rest des Wochenendes.«
Daphne öffnete den Mund, aber in diesem Moment vibrierte ihr Handy auf dem Nachttisch. Sie beugte sich vor, um zu sehen, von wem die SMS war. Nachdem sie ein paar Knöpfe gedrückt hatte, erschien ein schuldbewusster Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Also, das war Carson und … da gibt es heute Abend diese Party«, sagte Daphne, ohne mich anzusehen.
»Und lass mich raten, ich kann nicht mit, weil sie irgendwo im Dorf stattfindet und ich das Hotel nicht verlassen soll, richtig?«
Daphne verzog das Gesicht und nickte.
»Geh«, sagte ich. »Hab Spaß mit deinem Freund. Ich werde mit Vic hierbleiben, Comics lesen und den Rest des Abends ungesundes Zeug in mich reinstopfen.«
»Bist du sicher?«, fragte Daphne und biss sich auf die glänzende Unterlippe. »Es macht mir nichts aus, mit dir hierzubleiben und einfach abzuhängen …«
»Geh«, wiederholte ich mit fester Stimme. »Geh zu der Party, betrink dich und knutsch so richtig mit Carson rum. Mir geht’s gut. Ich verspreche es. Glaub mir, nach allem, was heute passiert ist, habe ich echt überhaupt keine Lust auf eine Party.«
Es kostete mich noch ein wenig Mühe, aber schließlich kämmte Daphne sich das Haar, trug noch etwas Lipgloss auf und zog los, um sich mit Carson zu treffen. Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, ging ich zu meiner grauen Reisetasche und zog einen Stift und einen Block heraus. Dann legte ich mich wieder aufs Bett, während neben mir Vic am Kissen lehnte.
»Was tust du?«, fragte das Schwert. »Das sieht nicht aus wie ein Comic.«
»Nichts Besonderes«,
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