Frostglut
Böse.«
Erneut kochte die Wut in mir hoch, weil dieses Miststück hier stand und so absurde Dinge behauptete. War ich denn die Einzige, die den Sarkasmus in ihrer Stimme hörte? Die Säure, die aus jedem ihrer Worte tropfte? War ich die Einzige, die die Berechnung und die Lügen in ihren Augen sah? Sicherlich war das Protektorat doch nicht dumm genug, ihr tatsächlich zu glauben …
Mein Blick huschte von einem zum anderen, aber zu meiner Überraschung und meinem Entsetzen schienen sie ihr die Geschichte alle abzunehmen. Agrona, Inari, Sergei und Linus nickten bei ihren Worten, als ergäben sie tatsächlich Sinn … als wäre es total logisch, dass Vivian Nikes Champion war und nicht ich.
Aber es gab eine Person, die genauso wütend war wie ich.
» Sie ist eure Zeugin?«, fragte Nickamedes harsch. »Ihr habt wissentlich einen Schnitter des Chaos, Lokis Champion , wieder aufs Schulgelände gelassen? Warum solltet ihr so etwas Unkluges tun? Etwas so Leichtsinniges? So Dummes?«
Linus musterte den Bibliothekar von oben herab. »Wie ich bereits erklärt habe, erzählt Miss Holler eine sehr überzeugende Geschichte. Von uns allen waren nur sie und Miss Frost tatsächlich am Garm-Tor, als Loki befreit wurde. Diese beiden Mädchen sind die Einzigen, die wirklich wissen, was in dieser Nacht geschehen ist.«
»Dann kettet sie vor der Schlange an, und wir werden ja sehen, wie lange sie durchhält«, blaffte ich. »Denn jedes einzelne Wort, das aus ihrem Mund kommt, ist eine bösartige Lüge.«
Beim Klang meiner Stimme hob die Natter den Kopf und musterte mich aus ihren leuchtend blauen Augen. Für einen Moment meinte ich Verständnis in ihrem Blick zu erkennen, doch bevor ich mir sicher sein konnte, senkte die Schlange den Kopf wieder. Von meinen Erfahrungen mit Nott und Nyx wusste ich, dass mythologische Kreaturen ziemlich intelligent waren. Ich fragte mich, ob das auch für die Natter galt. Ob sie fähig sein würde, Vivians Lügen zu durchschauen, obwohl das Protektorat anscheinend entschlossen war, es nicht zu tun.
Linus nickte. »Genau das haben wir vor, Miss Frost.«
Die Wachen an Vivians Seite schoben sie nach vorne und postierten sich um den Tisch. Jede der drei Wachen stellte sich an einer Ecke auf, Alexei übernahm die vierte. Kurz darauf saß Vivian mir gegenüber, genauso gefesselt wie ich und mit dem Schlangenbiss am Handgelenk. Ich musterte die andere Gypsy. Lockiges, kastanienbraunes Haar, goldene Augen, hübsches Gesicht, schlanker, durchtrainierter Körper. Sie war mir so ähnlich und doch so anders. Immerhin war ich, na ja, nicht die rechte Hand des personifizierten Bösen.
Vivian grinste mich wieder an, und ich erkannte ein schnitterrotes Flackern in ihren Augen. Wie konnten die anderen das nicht bemerken? Waren sie blind? Oder einfach nur so sehr von meiner Schuld überzeugt, dass sie jede Lüge glaubten, die Vivian ihnen erzählte?
Doch am schlimmsten war, dass das Schnittermädchen mich schon wieder ausgetrickst hatte. Und ich hatte nicht einmal etwas geahnt. Direkt bei meiner Verhaftung hätte ich wissen müssen, dass Vivian etwas damit zu tun hatte. Jetzt saß ich da, mit Gift in den Adern und nur ein Wort davon entfernt, an diesem Gift zu sterben, während Vivian hier reinstiefelte, als hätte sie nichts Falsches getan. Als hätte sie mich nicht überlistet, den Helheim-Dolch zu finden, ihn dazu benutzt, Loki zu befreien, und dabei auch noch Nott getötet.
Nott. Mein Herz verkrampfte sich schmerzhaft, als ich an die Fenriswölfin dachte und daran, wie wild sie am Garm-Tor für mich gekämpft hatte; wie sie versucht hatte, mich zu retten, obwohl sie bereits langsam an dem Gift starb, mit dem die Schnitter sie vollgepumpt hatten.
Vivian würde nicht damit durchkommen, das schwor ich mir. Sie würde nicht damit durchkommen, dass sie Nott und meine Mom ermordet hatte. Irgendwie würde ich sie dafür zahlen lassen – und zwar schmerzhafter, als sie es sich vorstellen konnte.
Also zwang ich mich, meine Wut zur Seite zu schieben und nachzudenken. Das Schnittermädchen hatte irgendeinen Plan. Hier ging es nicht nur darum, dafür zu sorgen, dass ich von der Schule geschmissen oder vom Protektorat hingerichtet wurde. Sicher, beides würde Vivian beglücken, besonders die zweite Möglichkeit, aber ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie weiter vorausdachte, immer schon den nächsten Schritt plante. Doch sosehr ich mich auch bemühte, ich kam einfach nicht darauf, was mein Prozess dem
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