Frostglut
hätte, hätte ich nicht genau gewusst, was tatsächlich passiert ist. Und ich konnte nicht das Geringste tun, um sie aufzuhalten. Zumindest nicht in diesem Moment.«
»Oh, oh«, murmelte Daphne. »Diesen Blick kenne ich. Was führst du im Schilde, Gwen?«
»Was lässt dich glauben, dass ich etwas im Schilde führe?«
Die Walküre schnaubte. »Du atmest oder nicht?«
Ich bedachte meine Freundin mit einem bösen Blick.
Carson schob seine Brille höher. »Daphne hat schon recht, Gwen. Du neigst dazu … die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen, besonders wenn es um Schnitter geht.«
Ich drehte mich, um auch den Musikfreak böse anzustarren. Er schnitt eine Grimasse und zog den Kopf ein.
»Komm schon, Gypsymädchen«, meinte Logan. »Du kannst uns genauso gut erzählen, was du vorhast. Wir sind deine Freunde. Wir sind hier, weil wir dir helfen wollen.«
»Der Junge hat recht«, schaltete Vic sich ein. »Dir helfen und Schnitter töten, das ist im Prinzip dasselbe.«
Ich sah sie an – Daphne, Carson, Oliver, Vic und schließlich Logan. Als ich im Herbst nach Mythos gekommen war, hatte niemand etwas mit mir zu tun haben wollen – kein Einziger. Jetzt stellten sich all diese treuen Freunde wieder und wieder an meine Seite, obwohl ich sie ständig in Gefahr brachte. Aber ich konnte die Entschlossenheit in ihren Gesichtern erkennen, und ich wusste, dass sie nicht gehen würden, bevor ich ihnen alles erzählt hatte. Heiße Tränen der Liebe und Dankbarkeit stiegen mir in die Augen, und es kostete mich ein paar Sekunden, sie wegzublinzeln.
»In Ordnung«, meinte ich und atmete tief durch. »Vielleicht denke ich tatsächlich darüber nach, herauszufinden, was Vivian und die Schnitter wirklich planen, aber da gibt es ein Problem – ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll. Angeblich hält das Protektorat Vivian irgendwo unter Beobachtung, zumindest bis sie entschieden haben, was sie mit uns anfangen sollen. Also kann ich nicht losziehen und sie befragen – außerdem würde sie sowieso nicht die Wahrheit sagen. Selbst wenn ich herausfinde, wo sie sich aufhält, würde der Schnitter im Protektorat mich davon abhalten, an sie ranzukommen.«
»Was?!«, kreischte Daphne. »Was meinst du mit ›der Schnitter im Protektorat‹?«
Da erzählte ich ihnen von meiner Vermutung zu den Rubinsplittern an Vivians Ring und dem Verdacht, dass ein Mitglied des Protektorats mit ihr zusammenarbeitet.
»Was glaubst du, wer es ist?«, fragte Logan.
Ich zuckte mit den Achseln. »Vielleicht Inari? Der Anführer der Schnitter hatte einen ähnlich schlanken Körperbau. Aber wer weiß? Vivian hat einen Weg gefunden, mich zu überlisten, also ist es bei diesem Schnitter vielleicht genauso. Inari, Sergei, Agrona, Linus. Jeder von ihnen könnte es sein.«
Logan starrte mich an. »Mein Dad ist kein Schnitter, und ich glaube auch nicht, dass einer der anderen es ist. Ich kenne Inari und Sergei seit Jahren. Sie haben bei meinem Training geholfen. Und Agrona ist meine Stiefmutter.«
Ich zögerte. Ich wollte es auch nicht glauben, aber Vivian konnte das alles nicht allein ausgeheckt haben, und ich hatte es mir nicht eingebildet, wie sie während des Prozesses irgendwen angesehen hatte.
»Ich will nicht glauben, dass es dein Dad ist«, meinte ich schließlich. »Aber wir wissen doch alle, dass alles möglich ist, wenn es um Schnitter geht.«
Logan starrte mich weiterhin verletzt an, aber er sagte nichts mehr. Eine Weile schwiegen wir alle. Schließlich räusperte sich Oliver.
»Aber du hast einen Plan«, sagte er. »Wie du herausfinden kannst, was Vivian vorhat.«
Ich zuckte wieder mit den Achseln. »Morgen gehe ich noch mal in die Bibliothek und schaue, ob ich weitere Schwingungen von etwas auffangen kann, das der Schnitter vielleicht angefasst hat, als er Apates Schatulle gestohlen hat. Ich wollte es eigentlich heute machen, aber wegen des Prozesses hatte ich keine Gelegenheit dazu. Morgen ist sowieso besser, weil Samstag ist, ich keinen Unterricht habe und die meisten Schüler auf dem Konzert sein werden. Wahrscheinlich ist es nur Zeitverschwendung, aber zumindest gibt es mir etwas zu tun, statt den ganzen Tag in meinem Zimmer zu sitzen und mir Sorgen zu machen.«
»Sie lassen dich nicht zum Konzert?«, fragte Carson, und seine Schultern sanken nach unten.
Ich schüttelte den Kopf. »Nö. Ich darf weiterhin das Schulgelände nicht verlassen, bis das Protektorat eine Entscheidung getroffen hat. Es tut mir leid, dass ich nicht
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