Frostglut
verließ Vivian das Akademiegefängnis, flankiert von ihren drei Wachen. Ich konnte nichts tun, als dazustehen und zuzusehen, wie sie entkam – mal wieder.
Nachdem die Wachen Vivian an einen unbekannten Ort gebracht hatten, kam Grandma Frost zu mir und drückte mich an sich.
»Geht es dir gut, Süße?«, flüsterte sie. »Ich weiß, wie schlimm es war, sie wiederzusehen. Hätte ich auch nur geahnt, dass sie hier sein würde …«
Grandmas Stimme verklang, und ich wusste, dass sie dieselben finsteren Gedanken hegte, die auch in mir rumorten – dass die Welt ohne Vivian ein besserer Ort wäre.
»Es ist okay«, sagte ich. »Zumindest bin ich zu irgendwem durchgedrungen.«
Während die anderen immer noch diskutierten, erzählte ich ihr, wie ich meine Gedanken zu der Natter geschoben hatte und dass ich es so geschafft hatte, der Schlange zu zeigen, wie Vivian wirklich war.
»Ich wünschte, ich könnte bei Linus dasselbe machen«, meinte ich. »Ich könnte es. Ich müsste ihn nur berühren.«
Grandma schüttelte den Kopf. »Das ist das Risiko nicht wert, Süße. Vivian hat das Protektorat so um den Finger gewickelt, dass ich bezweifle, dass er dir glauben würde. Er würde wahrscheinlich einfach annehmen, du hättest ihre telepathische Magie.«
Ich fragte mich, ob darin der wahre Unterschied zwischen meiner Magie und Vivians lag – dass Lokis Champion in die Gehirne von Leuten eindringen und sie Dinge sehen lassen konnte, die gar nicht existierten, ohne sie zu berühren. Bis jetzt hatte ich meine Magie nur eingesetzt, um Nott und die Natter meine Erinnerungen sehen zu lassen; Dinge, die wirklich geschehen waren. Und dafür hatte ich sie berühren müssen. Noch ein Punkt, in dem Vivian und ich uns auf unheimliche Art ähnelten und doch vollkommen verschieden waren.
Ich seufzte frustriert, weil ich genau wusste, dass Grandma Frost recht hatte. Das Protektorat würde über mich glauben, was es eben wollte, und es gab keine Möglichkeit mehr, etwas daran zu ändern.
Aber ich konnte etwas gegen Vivian unternehmen. Das Schnittermädchen hatte mir verraten, dass sie etwas vorhatte, und ich hätte darauf gewettet, dass es mit dem gestrigen Angriff auf die Bibliothek zusammenhing. Was auch immer Vivian und die anderen Schnitter planten, sie würden damit nicht durchkommen. Nur weil ich vor Gericht und mein Leben auf dem Spiel stand, würde ich noch lange nicht aufhören, gegen die Schnitter zu kämpfen. Sie hatten mir bereits so viel genommen. Mehr würden sie mir nicht nehmen, und sie würden auch niemandem wehtun, den ich liebte.
Jetzt musste ich nur noch einen Weg finden, Vivian und die Schnitter aufzuhalten – bevor es zu spät war.
Das Protektorat wollte über mein Schicksal im Verlauf des Wochenendes beraten, was bedeutete, dass ich bis Montagnachmittag auf dem Schulgelände bleiben konnte. Dann würden sie eine endgültige Entscheidung über mich und Vivian treffen.
Ich fragte mich, ob es wohl Vivians Freispruch bedeuten würde, wenn man mich für schuldig erklärte. Würde man ihr erlauben, nach Mythos zurückzukehren? Konnte es das sein, was sie wollte? Ging es bei den ganzen falschen Beschuldigungen nur darum?
Das konnte ich nicht glauben. Es war zu einfach. Vivian hätte nicht riskiert, das Protektorat zu kontaktieren, nur um wieder zur Schule gehen zu können. Sie musste etwas anderes planen, etwas Größeres, etwas, das dem Pantheon viel mehr schaden würde, als nur mich, Nikes Champion, in Misskredit zu bringen.
»Worüber denkst du nach, Gwendolyn?«, fragte Nickamedes, während er seine Papiere zusammenpackte. »Du bist unheimlich still.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Einfach nur über das, was gerade passiert ist. Über alles, was Vivian gesagt hat.«
»Mach dir keine Sorgen um sie«, antwortete Nickamedes. »Trotz meiner Vorbehalte gegen Linus kann ich einfach nicht glauben, dass er dumm genug ist, ihr diese Geschichte abzunehmen. Du wirst in allen Anklagepunkten freigesprochen und genau hier auf Mythos bleiben, wo du hingehörst. Vertrau mir.«
Ich nickte, auch wenn ich ihm nicht wirklich glaubte.
Da mein Prozess nun vorbei war, verließen alle außer Raven das Gefängnis und stiegen wieder die vielen Stufen ins Erdgeschoss des mathematisch-naturwissenschaftlichen Gebäudes hinauf. Agrona, Inari und Sergei hielten kurz hinter der Tür inne, um sich zu unterhalten, aber Linus bedeutete mir, stehen zu bleiben.
»Vergessen Sie nicht, Miss Frost«, sagte er, während er mich mit demselben
Weitere Kostenlose Bücher