Frostglut
kalten Blick bedachte wie immer. »Ihr Prozess mag vorbei sein, aber Sie stehen immer noch unter Arrest, also gelten nach wie vor dieselben Regeln. Sie werden das Schulgelände am Wochenende nicht verlassen, und Sie werden ständig unter Beobachtung stehen.«
Ich runzelte die Stirn. »Aber morgen ist das Winterkonzert. Da wollte ich eigentlich hin. Einer meiner Freunde spielt in der Band …«
»Vergessen Sie es, Miss Frost«, unterbrach er mich. »Sie werden nicht zum Konzert gehen. An Ihrer Stelle würde ich am Wochenende über alles nachdenken, was Sie getan haben. Vielleicht beschließen Sie sogar, zu gestehen und sich der Gnade des Protektorats auszuliefern. Diese Geste könnte Ihre Strafe mildern – ein wenig.«
Also stand meine Schuld in seinen Augen bereits fest.
»Aber ich habe nichts Falsches getan«, sagte ich wieder einmal.
Statt zu antworten, starrte Linus mich noch einen Moment lang an, dann drehte er sich um und schloss sich den anderen Mitgliedern des Protektorats an.
»Mach dir keine Sorgen, Gwen«, sagte Metis, als sie neben mich trat. »Alles wird gut. Die Natter hat nach Vivian gebissen, nicht nach dir. Das muss das Protektorat berücksichtigen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das werden sie nicht tun«, sagte ich so leise, dass nur sie mich hören konnte. »Linus hasst mich zu sehr. Und da einer von ihnen ein Schnitter ist, werden sie es schon zweimal nicht tun.«
Metis verzog das Gesicht. »Was meinst du damit?«
Ich erzählte ihr, wie ich die Rubinsplitter auf Vivians Ring entdeckt hatte und dass sie zu Apates Schatulle gehörten. Außerdem erzählte ich ihr, wie Vivian eines der Mitglieder des Protektorats angesehen hatte, nachdem die Natter versucht hatte, sie zu beißen.
»Einer von ihnen muss ihr helfen«, sagte ich. »Nur das ergibt Sinn.«
Metis presste die Lippen aufeinander. »Ich sage es Nickamedes und Ajax. Wir werden uns unauffällig umhören, wo sich wer aufgehalten hat, als die Schnitter angegriffen haben. Wenn einer von ihnen ein Schnitter ist, werden wir ihn finden – und uns um ihn oder sie kümmern. Darauf kannst du dich verlassen.«
Ich nickte. Ich war Metis dankbar, dass sie mir glaubte, dass sie mich nicht für verrückt oder schuldig hielt oder dachte, ich würde nichts Gutes im Schilde führen, wie es bei Linus der Fall gewesen wäre.
Dann ging ich nach draußen, zusammen mit Grandma Frost, Metis, Ajax, Nickamedes und natürlich Alexei, der mich wieder bewachte. Der Prozess hatte länger gedauert als vermutet, denn die Dämmerung war bereits hereingebrochen, sodass das Schulgelände in lavendelfarbenem Licht vor uns lag.
Meine Freunde warteten auf dem Hof auf mich – Daphne, Carson, Oliver und Logan. Sie saßen dicht beieinander auf den Stufen des Gebäudes. Als sie mich sahen, standen sie auf. Grandma Frost entdeckte sie ebenfalls.
»Ich muss mit Metis sprechen«, sagte sie. »Meinst du, du kommst heute Abend klar, Süße?«
»Es ist okay«, antwortete ich. »Ich wollte sowieso meinen Freunden alles erzählen und sie vor Vivian warnen.«
Grandma nickte. »Nun, falls du mich brauchst, kannst du mich anrufen. Tag und Nacht. Ich liebe dich. Und mach dir nicht zu viele Sorgen. Es wird alles so ausgehen, wie es soll. Du wirst schon sehen.«
Für einen Moment hatte sie diesen abwesenden, glasigen Blick drauf, und diese uralte, unsichtbare Macht ballte sich um sie herum zusammen, als hätte sie einen Blick in die Zukunft – meine Zukunft – erhascht. Dann wurden ihre Augen wieder klar, und die Macht verschwand, verweht von einer kalten Brise. Trotzdem sorgten ihre Worte dafür, dass ich mich ein wenig besser fühlte.
Ich umarmte Grandma Frost, dann beobachtete ich, wie sie mit Metis, Ajax und Nickamedes über den Platz ging. Die Erwachsenen hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich leise. Anscheinend war ich nicht die Einzige, die dringend einen Plan entwerfen wollte. Aber ich war die Einzige hier, die zu Nikes Champion erwählt worden war. Ich war diejenige, die eigentlich alle vor den Schnittern beschützen sollte, und ich war diejenige, die Loki töten sollte. Ich liebte meine Grandma, und ich wusste, dass auch die anderen Erwachsenen auf mich aufpassten. Aber gleichzeitig erkannte ich, dass ich mich nicht auf sie verlassen konnte, um mich aus diesem Schlamassel herauszukämpfen. Nein, Champion zu sein bedeutete, seine Kämpfe selbst auszufechten, und ich war entschlossen, diese Auseinandersetzung mit Vivian zu gewinnen.
Meine
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