Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
gemacht, herauszufinden, was es innerhalb der Mauer noch so alles gab, also entschied ich mich für den linken Weg und ging los.
Lilafarbene Stiefmütterchen und andere kleine Winterblumen kämpften darum, trotz der Kälte ihre farbenfrohen Blütenblätter geöffnet zu halten. Über ihnen streckten die Bäume ihre dünnen, skelettartigen Äste in alle Richtungen, sodass ein dichtes Geflecht entstand, welches das spärliche Sonnenlicht auch ohne Blätter abhielt. Ein paar schmiedeeiserne Bänke standen hinten in den Schatten, und ein kleiner Bach schlängelte sich an ihnen vorbei, der vollkommen überfroren war.
Und natürlich gab es noch mehr Statuen.
Die Statuen bestanden aus demselben dunkelgrauen Stein wie diejenigen auf den Hauptgebäuden der Akademie, auch wenn diese hier viel kleiner waren, nicht größer als sechzig bis neunzig Zentimeter. Eine Gruppe von ihnen stand um eine steinerne Brücke, die den gefrorenen Bach überspannte. Die größte Figur besaß den Brustkorb eines Mannes, zusammen mit Ziegenhufen und einem kurzen Schwanz. Zwei Hörner kringelten sich aus dem steinernen Haar, und der Mann hatte eine Flöte an seine Lippen gehoben, als machte er sich bereit, eine fröhliche Melodie zu spielen. Ich erkannte in der Statue Pan, den griechischen Gott der Schafhirten und einer ganzen Menge anderer Sachen, je nachdem, welches Buch über Mythengeschichte man sich in der Bibliothek auslieh.
Um ihn herum standen Waldnymphen und Dryaden, die Arme weit ausgebreitet, Blumen in den Händen und die Beine gehoben, als würden sie zu Pans Phantomlied tanzen. Doch je länger ich sie betrachtete, desto mehr schien es mir, als würden die Nymphen mich direkt anstarren. Sie schienen die Augen zu schmalen Schlitzen zu verengen und die Lippen zurückzuziehen, um ihre Zähne zu entblößen, während sie die Blüten in ihren Händen zerquetschten.
Mit einem Seufzen wandte ich den Blick ab. Manchmal hatte ich das Gefühl, selbst wenn ich erst in hundert Jahren wieder eine Statue sähe, wäre es für meinen Geschmack immer noch zu früh. Und jetzt musste ich auch noch diesen dämlichen Aufsatz für Metis’ Unterricht schreiben. Würg.
Ich ging weiter, vorbei an mehr Bänken und anderen Statuen. Was mich überraschte, war die Tatsache, dass in die Mauer, welche die Akademie umgab, noch weitere Tore eingelassen waren. Bis jetzt hatte ich immer nur das Haupttor und das zweite, etwas kleinere Tor beim Parkplatz hinter der Turnhalle benutzt, aber alle hundert Schritte oder so öffnete sich die Mauer zu einem Gitter. Und über jedem davon hielten rechts und links zwei Sphinxe Wache. Ich vermutete, dass es so viele Tore gab, damit die Schüler bei Bedarf den Campus eilig verlassen konnten – zum Beispiel, wenn die Schnitter in großer Zahl die Akademie angriffen, wie sie es gestern im Kolosseum getan hatten. Der Gedanke sorgte dafür, dass mir übel wurde.
Trotz meiner schnellen Schritte drang die Kälte durch meine Kleidung und schien tief in meine Knochen einzuziehen. Ich hatte gerade umgedreht, um zurück in mein warmes Zimmer zu eilen, als ich ein tiefes Knurren hörte.
Ich erstarrte. Plötzlich war mir kälter als vorher, während ich mich fragte, ob ich mir das Geräusch nur eingebildet hatte – was ich wirklich dringend hoffte.
Das Knurren durchschnitt ein weiteres Mal die Luft und zerstörte damit jede Hoffnung, dass es nur meine Einbildung oder ein Aussetzer meiner Gypsygabe gewesen war. Langsam drehte ich den Kopf – und sah den Fenriswolf.
Der Fenriswolf hatte sich in einem Laubhaufen auf der anderen Seite des Tors zusammengerollt, vor dem ich gerade stand. Die Kreatur war länger als ich groß, mit einem breiten, starken Körper und rasiermesserscharfen Zähnen und Krallen. Ihr Fell war nicht ganz schwarz, sondern hatte eher die dunkle, rauchige Farbe von Feuerasche. Der zottelige Pelz half dem Wolf, mit den Schatten der hohen Bäume zu verschmelzen. Das letzte Mal, als ich einen Fenriswolf gesehen hatte, hatte ich bemerkt, dass in seinem Pelz blutrote Strähnen glitzerten, doch bei diesem Wolf sah ich nichts in der Art. Seine Augen waren rostrot, aber viel dunkler als in meiner Erinnerung, und es fehlte dieses unheimliche Glühen, das mir verraten hatte, wie dringend der Wolf mich fressen wollte.
Mein Blick huschte über die Kreatur, dann blieb er an ihrem Ohr hängen. Im rechten Ohr war eine kleine Ecke, und damit wusste ich, dass es tatsächlich mein Wolf war. Der Wolf, den ich im Skiresort getroffen
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