Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
Das Geräusch verstärkte mein Kopfweh. »Irgendwohin, wo es ruhig ist und niemand Autogramme gibt.«
Der Rest des Tages schleppte sich dahin, aber schließlich war es Zeit für die letzte Stunde, Mythengeschichte. Ich glitt gerade auf meinen Platz hinter Carson, als die Glocke läutete.
Eine Minute später trat Professor Metis ins Klassenzimmer und schloss die Tür hinter sich. Bronzefarbene Haut, untersetzt, silberne Brille, schwarzes Haar, das zu einem engen Knoten gebunden war. Metis sah genauso aus wie immer, auch wenn heute ihr Blick dumpf und müde wirkte und ihre Schultern erschöpft nach unten sackten. Daphne mochte gestern ja Carson geheilt haben, aber Metis war dafür verantwortlich gewesen, alle anderen verletzten Studenten zu verarzten. Es sah aus, als fühlte die Professorin immer noch die Nachwirkungen des Angriffs, genau wie der Rest von uns.
Metis schlurfte in den Raum und arrangierte ein paar Papiere auf dem Pult, das fast so groß war wie sie. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Schüler.
»Ich bin mir sicher, dass ihr inzwischen alle von dem Schnitterangriff gehört habt«, sagte sie. »Von den Schülern, die gestorben sind, von denen, die verletzt wurden und den anderen, die gegen die Schnitter gekämpft haben.«
Metis richtete ihren Blick erst auf Carson, dann auf mich, und alle anderen Schüler drehten sich zu uns um. Carson seufzte, und ich sank ein wenig tiefer in meinen Stuhl. Ich verstand nicht, warum Metis mich zu einer Art Heldin hochstilisierte, wenn ich doch genau wusste, dass ich das nicht war – und auch niemals sein würde.
»Die Schüler im Kolosseum waren alle sehr tapfer«, sprach Metis weiter. »Und wir können aus den Geschehnissen etwas lernen. So schrecklich der Angriff auch war, er hat mich und die anderen Professoren daran erinnert, warum wir hier sind. Um euch – euch allen – beizubringen, wie ihr eure Magie und eure Fähigkeiten am besten dazu einsetzt, euch und eure Lieben zu beschützen, solltet ihr je wie eure Klassenkameraden das Pech haben, auf Schnitter zu treffen.«
Die Professorin sah von einem Schüler zum nächsten, bis der Blick ihrer grünen Augen schließlich meinem begegnete. Nach einem Moment sah ich zu Boden. Ich wollte einfach nur vergessen, was ich gestern gesehen hatte, auch wenn ich wusste, dass ich das nie schaffen würde.
»Ich wollte euch heute über die Artefakte prüfen, die ihr euch eigentlich über die Winterferien im Kolosseum ansehen solltet«, meinte Metis. »Aber in Anbetracht der Umstände erscheint mir das nicht ganz fair.«
Alle atmeten erleichtert auf. Metis’ Prüfungen waren immer schwierig, egal wie viel man gelernt hatte.
»Stattdessen möchte ich, dass ihr euer Buch auf Seite 269 aufschlagt«, sagte Metis. »Heute werden wir über die einzigartige Architektur sprechen, die man auf dem Campus findet.«
Architektur? Das klang total langweilig, aber ich schlug die angegebene Seite auf und stellte fest, dass ich auf die Bibliothek der Altertümer blickte. Die Schwarz-Weiß-Fotografie ließ das Gebäude dunkler und noch unheilvoller wirken als normal.
»Wir fangen mit der Bibliothek an, da sie das größte Gebäude auf dem Campus ist«, begann Metis. »Wie ihr sehen könnt, hat die Bibliothek verschiedene Balkone, und dann sind da natürlich die Türme auf dem Dach …«
Die nächste halbe Stunde sprach Metis über alles, von den architektonischen Merkmalen der Bibliothek über die verschiedenen Baustile bis hin zum ungefähren Wert des Goldes und der Juwelen, die in das Fresko in der Kuppel eingearbeitet waren. Antwort: ungefähr fünf Millionen Scheinchen. Bis auf diese fies witzige Tatsache war alles, was sie erzählte, absolut, absolut einschläfernd langweilig, und ich musste mich ein paarmal kneifen, um nicht wegzupennen. Ich wollte mich gerade wieder ausklinken, als Metis endlich ein etwas interessanteres Thema anschnitt.
»Jetzt lasst uns über die Statuen sprechen, die man in und um die Bibliothek findet«, sagte sie. »Bitte blättert weiter auf Seite 273.«
Papier raschelte, dann starrte ich wieder auf ein altes Schwarz-Weiß-Foto. Nur war es diesmal eine Nahaufnahme der zwei Greifen auf den Stufen vor der Bibliothek der Altertümer.
Sie wirkten in meinem Buch genauso wild wie im wahren Leben. Die Greifen saßen aufrecht, hielten ihre Adlerköpfe hoch erhoben und hatten die Flügel ordentlich über den riesigen Löwenkörpern gefaltet, als machten sie sich bereit zum Salut – oder dafür, mit
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