Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
hatte und der mich vor dem Erfrieren bewahrt hatte, nachdem wir beide in die Lawine geraten waren, die Preston ausgelöst hatte. An diesem Tag hatte die Kreatur diese v-förmige Narbe erhalten.
»Ähm, Hundchen?«, fragte ich vorsichtig, da ich den Wolf nie anders genannt hatte. »Bist du es wirklich?«
Beim Klang meiner Stimme sprang der Fenriswolf auf, und seine Lefzen verzogen sich zu etwas, das ein wenig wie ein … ein Lächeln wirkte. Okay, das war ein bisschen gruselig. Gewöhnlich waren mythologische Kreaturen kein bisschen glücklicher, mich zu sehen, als ich darüber, dass sie mich verfolgten und ihnen bei dem Gedanken, ihre Reißzähne in meinem Körper zu versenken, der Speichel im Maul zusammenlief. Doch dieser Wolf schien sich tatsächlich zu freuen, dass ich ihn bemerkt hatte, als … als hätte er darauf gewartet, dass ich vorbeikam.
Der Wolf wimmerte leise und kroch näher zum Tor, sodass die Blätter unter seinem riesigen Körper raschelten. Ich ging zu dem schmiedeeisernen Gitter, zögerte, dann streckte ich die Hand zwischen den Stäben hindurch. Der Wolf tigerte noch ein paar Sekunden auf und ab, bevor er auf mich zukam und den Kopf unter meine Hand schob.
Kaum berührten meine Finger seinen Pelz, stiegen Bilder in meinem Kopf auf. Visionen der schrecklichen Lawine, die uns beide fast begraben hätte. Dann ein Bild des Astes, der das Bein der Kreatur durchschlagen hatte. Danach eine Ansicht auf mich, wie ich den scharfen Holzsplitter aus seinem Bein schob, damit der Wolf wieder laufen konnte. Selbst eine Erinnerung daran, wie der Wolf Prestons Schuss ablenkte, als der Schnitter versucht hatte, mich mit einer Armbrust zu erschießen.
Weitere Bilder erschienen, begleitet von den Gefühlen des Tieres. Schnee und Bäume und der Wolf in vollem Lauf im Wald. Dazu gab es eigentlich nur ein Gefühl: Glück. Reine, wilde, intensive Glücksgefühle, dass er endlich den Schnittern entkommen war, die ihn so lange eingesperrt, verletzt und gequält hatten. Angesichts der tief empfundenen Euphorie des Wolfes stiegen mir Tränen in die Augen.
Dann sah ich plötzlich einen anderen Wolf, einen zweiten Fenriswolf, obwohl dieser kein Schnitterrot in Fell oder Augen trug. Er musste einer der wilden Fenriswölfe sein, von denen Metis erzählt hatte, die tief in den Bergen lebten und von Mitgliedern des Pantheons nur selten gesehen wurden. Zuerst war mein Wolf gegenüber der anderen Kreatur sehr vorsichtig, aber bald schon jagten die beiden gemeinsam durch den Schnee. Sie spielten, balgten sich, schliefen sogar aneinandergekuschelt.
Zum ersten Mal verstand ich, dass mein Wolf eigentlich eine Sie war. Ich empfing außerdem das Gefühl, dass er – nein, sie – wollte, dass ich ihr half.
»Ich verstehe nicht«, murmelte ich, als ich die Augen wieder öffnete und die Wölfin ansah. »Warum bist du hier? Warum hast du deinen Gefährten verlassen? Du warst so glücklich mit ihm. Was könntest du nur von mir wollen?«
Die Wölfin schnaubte leise, als könnte sie nicht glauben, dass ich so dumm war. Irgendwie traurig, wenn selbst eine mythologische Kreatur sich für schlauer hält als man selbst. Sie wich zurück und tigerte vor dem Tor auf und ab, fast als paradierte sie für mich. Ich starrte die Kreatur an, während ich mich fragte, was sie da tat, was sie mir zeigen wollte.
Nach einer Weile fiel mir auf, dass die Wölfin viel dicker war als beim letzten Mal – besonders um die Mitte herum. Ich streckte die Hand aus und legte sie auf den Bauch des Wesens. Es dauerte eine Sekunde, aber dann blitzte in meinem Kopf ein weiteres Flackern auf, ein weiterer kleiner Funke, der mir verriet, dass die Wölfin gar nicht allein war.
»Oh«, sagte ich. »Oh. Du wirst einen Babywelpen bekommen … oder was auch immer.«
Ich wusste nicht, wie viel von dem, was ich sagte, die Wölfin wirklich verstand, aber es schien fast, als würde sie mit dem Kopf nicken, als wollte sie sagen: Endlich hat das einfältige Menschenmädchen verstanden, was ich ihr zu erklären versuche.
Ich verstand nicht viel von Tieren, aber ich hatte den Eindruck, als wäre die Wölfin viel dicker, als sie sein sollte, wenn man bedachte, dass ich sie erst vor ein paar Wochen gesehen hatte. Bekamen mythologische Kreaturen ihre Babys schneller als normale Tiere? War das der Grund, warum die Wölfin schon so breit war? Wie bald würde sie ihren Welpen bekommen? Ich wusste auf keine der Fragen, die durch meinen Kopf schwirrten, eine Antwort.
»Aber ich
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