Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
würde sie später rahmen und sie zu den anderen Fotos auf meinem Schreibtisch stellen.
Aber so viel Spaß es mir auch machte, das Tagebuch zu lesen, es gab mir keinen Hinweis darauf, wo meine Mom den Helheim-Dolch versteckt hatte. Sie schrieb kein einziges Wort über das Artefakt. Am nächsten kam sie der Sache noch, als sie erwähnte, dass Nike ihr eine wichtige Mission übertragen hatte. Ich ging davon aus, dass sie den Dolch meinte, und las die Seiten davor und danach besonders aufmerksam, aber sie schrieb sonst nichts über die Mission – nicht einmal, ob sie erfolgreich gewesen war oder nicht.
Das Tagebuch verriet mir allerdings eine Sache über meine Mom: Sie kritzelte gerne. Fast auf jeder Seite befanden sich Zeichnungen und Skizzen, aber es waren nicht die üblichen Herzchen und Blumen, die man erwartete.
Stattdessen hatte meine Mom Statuen gezeichnet – all die Statuen auf den Gebäuden.
Wasserspeier, Minotauren, Basilisken, Drachen, Chimären, Gorgonen. Diese und weitere Fabelwesen zogen sich durch das Tagebuch, spähten von den Anfängen oder den Enden der Seiten zu mir auf oder wanden sich an der Mittelfalz entlang. Meiner Mom hatten es, aus welchem Grund auch immer, besonders die Greifen auf den Stufen der Bibliothek angetan. Von diesen beiden gab es mehr Zeichnungen als von allen anderen Statuen zusammen. Vielleicht hatte meine Mom wie ich den Arbeitsauftrag bekommen, alles über die Statuen zu recherchieren und einen Aufsatz zu schreiben. Das war der einzige Grund, der mir einfiel, warum sie die zwei Statuen wieder und wieder gezeichnet hatte.
Trotz der seltsamen Kritzeleien und meiner Frustration darüber, dass ich den Dolch nicht finden konnte, sorgte das Lesen des Tagebuchs, die Tatsache, dass ich in meinem Kopf der Stimme meiner Mom lauschen und dabei ihre wunderschöne Handschrift betrachten konnte, dafür, dass ich mich ein wenig besser fühlte – in Bezug auf alles. Oder vielleicht lag es auch daran, dass ich das Tagebuch in Händen hielt und alle damit verbundenen Bilder und Gefühle in mich aufsaugte – alles, was meine Mom gefühlt und getan hatte. Die guten Zeiten, die sie auf der Akademie erlebt hatte, und auch die schlechten. Das alles war ein Teil von ihr und zeigte mir meine Mom auf eine Weise, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es war, als schaute ich alte Familienfilme von ihr aus ihrer Teenagerzeit.
Ich wollte nicht, dass diese Gefühle endeten, und so schob ich das Tagebuch unter mein Kopfkissen, als ich schließlich aufhörte zu lesen und das Licht ausmachte. Ich schlang die Finger um das Buch und blieb so liegen, bis ich endlich einschlief.
Der nächste Tag war außergewöhnlich durchschnittlich. Natürlich abgesehen von meinem schmerzenden Herzen. Ich stellte sicher, dass ich zehn Minuten zu früh zum Waffentraining erschien, weil ich hoffte, mit Logan reden zu können, bevor die anderen kamen. Ich hoffte, ihm … irgendetwas zu sagen, was das Problem zwischen uns aus der Welt schaffen würde.
Doch der Spartaner tauchte nicht auf.
»Tut mir leid, Gwen«, sagte Oliver, als er seine Tasche auf eine der Bankreihen der Tribüne warf. »Logan hat mir gesimst und erklärt, dass er sich heute Morgen nicht gut fühlt.«
»Da ist er nicht der Einzige«, murmelte ich.
Ich wusste, dass der Spartaner mir aus dem Weg ging, und so wie es aussah, wussten Oliver und Kenzie es auch, denn sie musterten mich voller Mitgefühl. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, hatten wir wieder ein Publikum von Schülern aus dem ersten Jahr, und diesmal waren es sogar noch mehr als gestern. Zumindest, bis sie feststellten, dass Logan nicht trainieren würde. Danach verließen alle Mädchen die Sporthalle.
Ich biss die Zähne zusammen und umklammerte Vic so fest, dass meine Finger taub wurden. Dann versuchte ich einfach, die Folterstunde hinter mich zu bringen.
Der Rest des Morgens verging in einer langweiligen Abfolge von Stunden, Vorträgen und Aufgaben, bis es endlich Zeit zum Mittagessen war.
Carson hatte eine zusätzliche Probe für das nahende Winterkonzert. Der Musikfreak war Kelte und hatte ein magisches Talent für Musik wie ein Kriegsbarde. Er wusste instinktiv, wie er jedes Instrument spielen konnte, das er anfasste.
Also saßen nur Daphne und ich an unserem üblichen Tisch im Speisesaal. Doch die Walküre stocherte nur in ihrem Essen herum, einem mit Hähnchencurry gefüllten Croissant und einem Ambrosia-Fruchtsalat.
»… und dann hat er mir erklärt, dass ich nicht
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