Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
Vorbereitung dieser kleinen Rede geholfen? Oder ist gemein sein eine Familienbegabung?«
Nickamedes starrte mich mit ausdruckslosem Gesicht an. »Ich bin bereit, die Bibliothek für die Nacht zu schließen, Gwendolyn. Ich dachte, du willst vielleicht deine Sachen haben, bevor du gehst.«
Er hielt mir meine Tasche entgegen. Ich stiefelte vorwärts und packte sie, in der festen Absicht, sofort aus der Bibliothek zu rennen, bevor er mich weinen sah. Nur leider erwischte ich den Schulterriemen nicht richtig, sodass die Tasche auf den Boden fiel und mein Zeug in alle Richtungen flog. Das perfekte Ende für einen furchtbaren Abend.
Ich ging auf Hände und Knie und fing an, alles wieder in die Tasche zu schaufeln. Stifte, Notizblöcke, die neuesten Comics, die Tüte mit Essen für Nott. Ich krabbelte gerade zu dem Greifenbuch, das ich schon früher fallen gelassen hatte, als ich hörte, wie sich Nickamedes hinter mir bewegte.
»Woher hast du das?«, fragte er leise.
Ich sah auf und entdeckte, dass der Bibliothekar das Tagebuch meiner Mom in den Händen hielt. Auf seinem Gesicht lag ein seltsamer, schmerzerfüllter Ausdruck, als verbrenne der lederne Einband seine Haut oder als täte es ihm weh, das Buch auch nur anzusehen.
»Geben Sie das her«, zischte ich. »Das hat meiner Mom gehört, und ich will nicht, dass Sie es berühren. Nicht mal für eine Sekunde .«
Der Bibliothekar runzelte die Stirn, erwiderte aber nichts. Vielleicht verstand er tatsächlich, wie wütend und verletzt ich war – falls es ihn überhaupt interessierte. Stattdessen fiel Nickamedes’ Blick auf etwas anderes auf dem Boden, etwas, das unter einen der Tische gerutscht war. Er ging hinüber, um es aufzuheben.
Ich blieb kurz stehen, umklammerte das Tagebuch und rief meine Psychometrie. Wieder fühlte ich nur die Gegenwart meiner Mom, und das einzige Bild, das in meinem Kopf aufstieg, zeigte sie, wie sie in ihr Tagebuch schrieb. Nickamedes hatte es nicht lange genug berührt, um einen Teil von sich zurückzulassen. Gut. Ich wollte nicht, dass er mir das auch noch kaputt machte.
»Gwendolyn, warte«, sagte Nickamedes, immer noch in der Hocke.
Aber ich war nicht in der Stimmung, mir einen Vortrag halten zu lassen oder was auch immer der Bibliothekar vorhatte, also warf ich mir den Riemen meiner Tasche über die Schulter und rannte so schnell wie möglich aus der Bibliothek.
Ich stapfte über den Campus zurück zu meinem Wohnheim und bemühte mich, über das, was zwischen Logan und mir passiert war, nicht zu weinen – doch ich versagte vollkommen. Ausnahmsweise war ich froh, dass der obere Hof und die Wege, die zu den Wohnheimen führten, in Schatten gehüllt waren. Ich wollte nicht, dass jemand mich so sah oder, schlimmer noch, mit dem Handy ein dämliches Foto von mir schoss und es überall herumschickte.
Ich kam an ein paar anderen Schülern vorbei, die ebenfalls zu ihren Wohnheimen unterwegs waren, weil die Ausgangssperre um zehn Uhr abends näher rückte. Trotzdem erreichte ich Styx, ohne dass jemand mein rotes, verquollenes Gesicht sah. Ich zog meinen Schülerausweis durch das Lesegerät an der Eingangstür und eilte mit schweren Schritten die Stufen zu meinem Zimmer im zweiten Stock hinauf. Dann öffnete ich auch diese Tür, knallte meine Tasche auf den Schreibtisch und ließ mich auf das Bett fallen.
Auf dem Boden winselte Nott leise und schlug mit dem Schwanz. Vic riss sein Auge auf, als er hörte, wie ich in den Raum kam. Das Schwert starrte mich eine Weile misstrauisch an.
»Was ist los? Warum hast du geheult?«
»Es ist nichts, Vic«, sagte ich, dann hickste ich.
Aus irgendeinem dämlichen Grund bekam ich nach dem Weinen immer Schluckauf. Noch etwas, das mich neben meiner Psychometrie zum Freak machte. Ausnahmsweise fragte ich mich, warum ich nicht mit einer anderen Magie beschenkt worden war. Warum hatte Nike mich nicht superstark machen können wie eine Walküre? Oder superschnell wie eine Amazone? Meine Psychometrie war es, die Logan und mich voneinander fernhielt. Nein, genauer gesagt war sie es, die Logan und mich auseinandergetrieben hatte. So wie der Spartaner heute Abend ausgeschlagen hatte, bezweifelte ich, dass irgendwas, das ich sagte oder tat, ihn dazu bringen konnte, mir noch eine Chance zu geben – ihn dazu bringen konnte, uns noch eine Chance zu geben.
Ich verstand einfach nicht, warum. Ich hatte Logan erzählt, dass ich sein Geheimnis gesehen hatte, dass ich wusste, was er verbarg, was ihn so unglaublich
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