Frostkuss
Morgen selbst kontrolliert.«
»Anscheinend haben sie nicht ausgereicht«, murmelte Ajax.
Die beiden Männer starrten sich böse an, bis Professor Metis zwischen sie trat.
»Es reicht«, sagte sie. »Ich werde das Reinigungsteam rufen und die anderen benachrichtigen. Ich bin mir sicher, dass der Vorstand die Sicherheitsmaßnahmen verstärken will, ob nun magisch oder nicht. Zumindest für die nächsten paar Tage, bis wir sicher sein können, dass, wer auch immer hier war, nicht zurückkommt, um noch andere Artefakte zu holen.«
Trainer Ajax und Nickamedes starrten sich noch ein paar Sekunden an, bevor sie beide nickten. Dann traten sie alle ein paar Schritte zur Seite und unterhielten sich darüber, was jetzt zu tun war und wen sie benachrichtigen mussten.
Sie waren bei Weitem nicht so bestürzt, wie ich es erwartet hätte. Es schien für sie fast … normal zu sein. Als wäre so etwas schon einmal passiert. Auf meiner alten Schule wären die Lehrer ausgetickt, wenn ein Mädchen in der Bibliothek ermordet worden wäre. Aber hier war so etwas offensichtlich bei Weitem nicht so schockierend. Eher erweckte es den Eindruck, als käme es einfach … ungelegen, weil es Papierkram nach sich zog, Anrufe erforderte und das Blut auch noch weggewischt werden musste. Irgendwas in der Richtung.
Aber für mich war es nicht normal, und ich konnte nichts anderes tun, als auf Jasmine hinunterzustarren. So hübsch, so beliebt, so reich, und was hatte es ihr gebracht? Nichts außer einem verfrühten Tod. Ich dachte an Paige Forrest und daran, wie ähnlich sie Jasmine gewesen war. Hübsch und beliebt, aber mit diesem schrecklichen Geheimnis, mit diesen grauenhaften Erfahrungen, von denen niemand etwas wusste.
Ich fragte mich, ob es bei Jasmine ähnlich war. Ob sie einen geheimen Grund gehabt hatte, heute Abend noch einmal in die Bibliothek zu kommen. Ob mehr hinter der Sache steckte als nur das Eindringen eines anonymen Bösewichts, der eine magische, mythologische Schale stehlen wollte …
»Gwen?« Die Stimme von Professor Metis ließ mich zusammenzucken. »Ich bringe dich zurück in dein Wohnheim, wenn du willst.«
Ich sah ein letztes Mal zu Jasmines leblosem Körper und den klebrigen, roten Pfützen um sie herum. Es wirkte fast, als läge die Walküre auf einem riesigen roten Kissen und wäre nicht kalt, blutig und tot.
Mir lief ein Schauder über den Rücken, dann wandte ich den Blick ab.
»Ja«, sagte ich. »Das wäre mir im Moment sehr lieb.«
Metis wechselte noch ein paar Worte mit Trainer Ajax und Nickamedes, dann verließen wir zusammen die Bibliothek. Es war inzwischen nach zehn, und der Hof war menschenleer. Mondlicht tauchte alles in hellen, silbrigen Schein, selbst die zwei Greifen am Fuß der Treppe zur Bibliothek. Mein Atem dampfte in der kalten Nachtluft, und ich stopfte meine blutigen Hände in die Taschen, um sie vor der Kälte zu schützen. Aber egal, was ich tat, mir wurde einfach nicht warm.
Wir sprachen kein Wort, bis wir den Platz schon halb überquert hatten.
»Ich weiß, dass es schwierig für dich sein muss, Gwen. Jasmine so zu finden«, sagte Professor Metis dann. »Aber es ist nicht das erste Mal, dass so etwas in Mythos passiert.«
Ich riss die Augen auf. »Sie meinen, es wurden schon früher Schüler umgebracht? Hier in der Akademie?«
Sie nickte. »Ein paar.«
»Wie? Warum?«
»Meistens von Schnittern. Die Schüler hatten etwas, das die Schnitter wollten, oder sie sind ihnen in die Quere gekommen, genau wie es heute Abend bei Jasmine der Fall war. Oder die Schüler haben für Schnitter gearbeitet und haben etwas falsch gemacht, sodass sie umgebracht wurden. In ein paar Fällen waren Schüler auch selbst Schnitter.«
Jugendliche meines Alters? Arbeiteten für die Bösen? Waren selbst Schnitter? Ich wusste einfach nicht, was ich davon halten sollte.
Metis sah mich eindringlich an. »Ich weiß, dass die Akademie, diese Welt, für dich vollkommen neu ist, dass du nichts von all dem wirklich glaubst. Du glaubst weder an die Götter noch an die Krieger, die Mythen, den Chaoskrieg oder irgendetwas anderes. Ich sehe es daran, wie du in meinen Stunden immer aus dem Fenster starrst. Wenn ich dich aufrufe, nennst du mir Fakten, aber überwiegend bist du nur körperlich anwesend.«
Ihre Stimme war sanft, aber trotzdem verzog ich das Gesicht. Ich hatte gedacht, ich hätte meinen Unglauben ein wenig besser versteckt. Seit meine Mom gestorben war, war ich eigentlich recht gut darin geworden, Dinge
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