Frostnacht
entwickelte sich die Idee, die ich so dringend brauchte.
Ich schloss meinen Rucksack und warf ihn mir wieder über die Schulter. Dann schlang ich das Netz um Logan. Zuerst fürchtete ich, das Seegras würde nicht ausreichen, um seinen Körper zu umschließen, doch jedes Mal, wenn ich die Hand ausstreckte, schien mehr und mehr Netz da zu sein. Endlich legte ich die letzten Maschen um Logans Schultern. Ich schob den Spartaner in eine sitzende Position, schlang einen Arm um seine Hüfte und stemmte die Schulter in seine Achselhöhle. Dann holte ich tief Luft und kam auf die Füße. Zu meiner Überraschung konnte ich ihn mühelos hochheben, als wöge er nicht mehr als eine Hantel.
»Komm schon, Spartaner«, sagte ich. »Wieder auf die Füße.«
»Okay …«, murmelte Logan. Seine Augen öffneten sich für einen Moment, bevor die Lider wieder zufielen. »Okay, ich stehe …«
Langsam machten wir uns wieder auf den Weg. Oh, es war immer noch mühsam, da Logan sich halb an mir festklammerte, halb bewegungslos an meiner Seite hing, während ich damit beschäftigt war, das Netz nicht von seinem Körper rutschen zu lassen. Doch er kam mir sehr viel leichter vor. Zumindest konnte ich so den Berg hinunterschlurfen, auch wenn wir uns viel, viel langsamer bewegten als vorher. Trotzdem, mit jedem Schritt, den ich machte, näherten wir uns der Talsohle.
»Danke, Ran«, murmelte ich, obwohl ich bezweifelte, dass die Göttin mir zuhörte oder an meinen Problemen interessiert war.
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich Logan den Weg entlangschleppte. Es konnten fünf Minuten gewesen sein oder eine Stunde. Die Zeit verlor jede Bedeutung. Es gab nur eisige Kälte und fallenden Schnee und pfeifenden Wind und Bäume. Mehr als einmal rutschte ich im Schnee aus, sodass wir beide fast abgestürzt wären, doch ich schaffte es jedes Mal, mich im letzten Moment zu fangen.
Ich hatte gerade das fünfte Mal einen Sturz in den Schnee verhindert, als mir auffiel, dass sich etwas auf dem Pfad vor uns befand.
Ich erstarrte. Logan hing von meiner Seite wie ein seltsamer Auswuchs meines Körpers, während ich durch den Schneefall spähte. Was war diese Gestalt vor uns? Für einen Moment glaubte ich, es könnte ein Schnitter sein, der auf dieser Seite des Berges stationiert worden war, um uns zu erledigen, falls wir überhaupt so weit kamen. Doch dafür wirkte die Gestalt nicht dunkel und schlank genug. Sie wirkte eher … groß. Mehr konnte ich eigentlich nicht sagen. Vielleicht war ein Felsbrocken auf den Pfad gestürzt, wie Rachel gesagt hatte? Wäre das nicht absolut wunderbar?
Ich seufzte, packte Logan und das Netz fester und setzte mich wieder in Bewegung. Vielleicht würde es sich nur als Baum oder Fels entpuppen, sodass ich einen Weg darüber oder darum finden konnte.
Ich hatte die Gestalt – oder was auch immer es war – fast erreicht, als ein scharfer, wilder Schrei durch den wirbelnden Schnee hallte.
Wieder erstarrte ich. Ich zog gegen die Kälte den Kopf ein und sah den Pfad entlang, um einen Blick auf die Löwenpranke direkt vor mir zu erhaschen. Sie war ein gutes Stück größer als meine Hand und wies lange, scharfe, gebogene Krallen auf, die im weißen Schnee wie Ebenholz glänzten.
Mit einem schweren Schlucken hob ich den Kopf.
Ein Greif stand mitten auf dem Weg und ragte hoch über Logan und mir auf.
Ich starrte zu der riesigen Kreatur hinauf.
Löwenkörper, Adlerkopf, bronzefarbene Augen und Flügel, Pelz in derselben Farbe. Die Kreatur wirkte sogar noch größer als der Schwarze Rock, auf dem Vivian und Agrona geflogen waren. Der Größe nach zu urteilen war der Greif wahrscheinlich ein Männchen. Ich blickte wieder auf seine Krallen, bevor mein Blick zu seinem gebogenen Schnabel wanderte. Auch der glänzte wie Ebenholz trotz des Schneefalls.
Schließlich sah ich der Kreatur in die Augen. Sie glühten im wirbelnden Schnee wie helle, bronzefarbene Laternen. Ich starrte in ihre Tiefen, konnte aber keine Spur von Schnitterrot in den Pupillen entdecken. Also war dies ein wilder Greif und keiner, den die Schnitter gefangen und in ihren Dienst gezwungen hatten. Ich hatte keine Ahnung, ob das unsere Lage besser oder schlechter machte. Ein wilder Greif konnte mich und Logan genauso mühelos umbringen wie einer, der von Schnittern kontrolliert wurde. Klauen blieben schließlich Klauen.
»Gute Güte«, meldete sich Vic aus seiner Scheide. »Er ist ein großes Kerlchen, oder?«
»Schhhhh«, flüsterte ich ihm aus dem
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